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Silbertod

Silbertod

Titel: Silbertod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F E Higgins
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ein Es . Er sah in ihr kein männliches oder weibliches Tier. Wäre das nämlich der Fall gewesen, wäre es ihm womöglich nicht so leicht gefallen, das Biest in der Weise zu behandeln, wie er es tat. Er sah ihm auch nicht gern direkt in die Augen, denn nicht einmal er konnte abstreiten, dass in diesem Blick etwas lag, das nicht zu der monströsen Gestalt des Wesens passte.
    Rudy war schon sein Leben lang mit diesem Gewerbe vertraut, dem Gewerbe des Sonderbaren, Abstoßenden, Beängstigenden. Und je abscheulicher es war, desto glücklicher machte ihn das, denn er wusste, dass es alle Frauen und Männer ansprechen würde, egal für wie gebildet sie sich hielten. Früher hatte Rudy über einen ganzen Zirkus geherrscht. Rudy Idolices Panoptikum der kuriosen Wunder . In seinen klareren Momenten erinnerte er sich liebevoll daran. Damals war er natürlich jünger gewesen, von jugendlichem Schwung und nicht ganz so abhängig vom Alkohol.
    Auf dem Höhepunkt seines Erfolgs hatte er fünf Wagen und zwanzig Ausstellungsstücke besessen. Manchmal hatte er auch großspurig einundzwanzig angekündigt, je nachdem, ob er den Mann mit den zwei Köpfen als ein oder als zwei Wesen einstufte. Was für ein Anblick, wenn der mit sich selbst stritt! Und dann war da die Frau, die sich in ihren eigenen Ellbogen beißen konnte. Rudy kicherte. Die war vielleicht eine Nummer! Bevor sie auftrat, hatte er für gewöhnlich Wetten aus dem Publikum angenommen. Es gab immer jemanden, der meinte, das könne er auch. Oh, dieses Knacken von Knochen und das Ächzen und Stöhnen, wenn sie sich bei ihren Versuchen halb verrenkten. Aber die Frau – Matilda hatte sie geheißen –, die konnte das ohne Mühe. Es zerrte an den Nerven, wenn man zusah, wie sich ihre Zähne um ihren Ellbogen schlossen, aber es war gleichzeitig auf seltsame Art faszinierend. Und dann war da noch der Mann mit den drei Beinen. Rudy musste sogar jetzt noch schmunzeln, wenn er an dessen Nummer dachte. Was für ein Stepptänzer!
    In dieser merkwürdigen Welt kam Rudy zu Ruhm und Geld, wie er es nie für möglich gehalten hatte. Doch wenn einer erst solche Höhen erlangt hat, ist die Chance des Falls oft genauso groß wie die des weiteren Aufstiegs. Rudy fiel. Und was war das für ein Sturz gewesen! Innerhalb von Monaten die Arbeit von zwanzig Jahren zunichte! Die Schuld gab er der Frau mit dem Bart. Bei Gott, die konnte bechern! Sie war es gewesen, die ihn an den Schnaps gewöhnt hatte, die ihm seine Geheimnisse, einschließlich der Höhe seines Vermögens, entlockt und dann die anderen Ausstellungsmonster gegen ihn aufgehetzt hatte. Was für ein Verrat! Sie verlangten mehr Geld, bessere Lebensbedingungen, Teepausen. Rudy ging auf nichts ein, er machte sich vor, die Leute würden ja wohl bei ihm bleiben und seine Fürsorge ihnen gegenüber mit ihrer Treue belohnen. Wo wären sie schließlich ohne ihn? Aber er hatte nicht mit dem zweiköpfigen Mann gerechnet. Der hörte ausnahmsweise mal auf, mit sich selbst zu streiten, steckte seine zwei Köpfe zusammen und überredete die andern, bei dem Aufstand mitzumachen. Sie packten ihre Siebensachen, schickten Rudy in die Wüste und gingen zur Konkurrenz.
    Am Ende war das Biest seine Rettung gewesen. Sobald er es nur anschaute, verblüffte ihn allein der scheußliche Anblick immer wieder aufs Neue. In Wahrheit war das Biest nicht ganz so abstoßend gewesen, als Rudy ihm im Wald an einem steilen Berghang in der Nähe eines Dorfes begegnet war. Damals führte es noch ein aktiveres Leben. Die Dorfbewohner versuchten verzweifelt, es loszuwerden, weil es jede Nacht ein Schaf aus der kleinen Jocastar-Herde riss und die Wolle dieser Tiere ihre Haupteinnahmequelle bildete. Als Rudy von dem seltsamen Wesen hörte, machte er sich sofort auf den Weg zu diesem Dorf. Für Geld – weniger, als er verlangt hatte, aber doch genug, wenn er seine damaligen Verdienstmöglichkeiten bedachte – fing er das Biest, sperrte es in einen Käfig und nahm es mit.
    Wohin er auch kam, überall war die Kreatur ein großer Erfolg. Rudy war nicht intelligent, er konnte kaum lesen und seinen Namen schreiben, doch er besaß ein angeborenes Gespür für die menschliche Natur. Jeder Mensch war fasziniert vom Sonderbaren, egal welcher Schicht er sich zurechnete. Jedes Mal, bevor Rudy weiterzog, schickte er einen Läufer voraus in die nächste Stadt, um ihre bevorstehende Ankunft bekannt zu machen. Oft war das nicht einmal nötig: Die Nachricht von der Abscheulichkeit des

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