Silbertod
furchtlos an den Käfig heran, lehnte sich gegen die kühlen Eisenstäbe und sprach sanft und eintönig flüsternd zu dem Geschöpf. Ob es zuhörte oder nicht, war schwer zu sagen. Es ließ jedenfalls nichts davon erkennen. Nach einer Weile entfernte sich die Gestalt, stieg die Treppe hinauf und war verschwunden. Alles war wieder still, bis auf das hohe Summen einer Fliege und das Grollen aus dem Magen des Biests.
Kapitel 26
Verirrt
D
raußen auf der Straße mussten Pin und Juno verschnaufen. In der kurzen Zeit, die sie im Flinken Finger verbracht hatten, war dicker Nebel vom Foedus aufgestiegen, breitete sich über die ganze Stadt aus, waberte heimtückisch um jede Hausecke und hielt sich dicht am Boden. Juno sah Pin besorgt an und strich ihm über den Arm.
»Alles in Ordnung?«, fragte sie leise.
Pin nickte und vergrub seine Hände in den Achselhöhlen. »So schrecklich habe ich es mir nicht vorgestellt.«
»Hast du den Kerl gesehen, der sich unter der Treppe versteckt hatte?«
»Ja«, erwiderte Pin mit schnatternden Zähnen. »Vielleicht kümmert der sich um das Biest.«
»Wer weiß?«, sagte Juno. Sie wickelte sich fester in ihren Umhang. Trotzdem drang ihr die Kälte bis in die Knochen. »Ich erfriere«, sagte sie kläglich. »Komm, wir gehen nach Hause.«
Pin war einverstanden. Eine Weile kamen sie zügig voran. Der Nebel war inzwischen fast zum Greifen dick. Pin konnte, wenn er zu Boden blickte, die eigenen Füße nicht mehr sehen.
»Wenn wir den Fluss gefunden haben, können wir ihm folgen«, sagte er, blieb stehen und drehte sich langsam auf der Stelle.
»Kannst du ihn denn nicht riechen?«, fragte Juno. Sie war, wie immer, ein paar Schritte voraus. »Ich dachte, du kannst alles riechen.«
»Klar kann ich ihn riechen«, sagte Pin schnell. Er ärgerte sich über sich selbst. Er sollte ja wohl in der Lage sein, wenigstens den Weg zum Foedus zu finden. »Aber wenn der Gestank überall hängt, lässt sich schwer sagen, aus welcher Richtung er kommt. Überhaupt ist der Geruch heute Nacht nicht besonders stark.«
Und dann begann das merkwürdige Knarren.
»Was ist das?«, fragte Juno ängstlich.
»Keine Ahnung. So ein Geräusch habe ich noch nie gehört.«
Es war eine Art Ächzen, menschlich beinahe, aber doch auch wieder nicht.
»Ich glaube, es kommt von dort drüben«, sagte Juno. Ihre Stimme klang gedämpft.
Pin versuchte, sich zu konzentrieren. »Schscht«, machte er. Er stand reglos, lauschend, schnuppernd. »Ich denke, der Fluss müsste in dieser Richtung liegen«, sagte er schließlich.
Juno schwieg.
»Juno?«, sagte er. Und noch einmal, jetzt in gereiztem Ton: »Juno?«
Aber Juno war nicht mehr da.
Zuerst roch Pin es nur, den Gestank nach offenen Wunden, dann hörte er es atmen, scharf, rasselnd, krank. Blind vom Nebel blieb er stehen, wo er war. Plötzlich schoss von rechts eine Hand aus dem Grau und packte seinen Arm. In Panik trat Pin um sich und hörte einen Aufschrei, aber schon hatten ihn sechs, acht, vielleicht zehn Hände fest im Griff.
»Ah, was haben wir denn da?«, krächzte ihm jemand ins Ohr.
»Ich bin nur auf der Suche nach dem Heimweg«, stammelte Pin und hoffte im Stillen, Juno befinde sich weit weg. Ein buckliger Mann, der aussah, als wäre er eben dem Grab entstiegen, baute sich vor ihm auf.
»Hoho«, lachte er und bleckte dabei fünf Zähne, drei oben und zwei unten.
Pin wedelte den Nebel vor seinem Gesicht weg und sah sich eingekreist von einem lärmenden Pack elender Bettler, die nichts zu verlieren und alles zu gewinnen hatten. Ihre Kleidung bestand aus Lumpen, ihre Gesichter waren pockennarbig, ihre eingefallenen Augen tränten, und alles zusammen stank. Himmel, wie sie stanken! Heute Nacht war der Nebel ihr Freund.
»Ich habe nichts für euch«, sagte Pin, während er seine Taschen umdrehte.
»Kein Geld?«, knurrte der Bucklige.
Pin schüttelte den Kopf. »Ehrlich, ich habe alles im Flinken Finger ausgegeben, um das Gefräßige Biest zu sehen.«
»Hörst du das, Zeke?«, sagte ein anderer Bettler, der ebenso widerlich aussah und roch, zu dem Buckligen. »Er hat Monster gern.«
»Was für ein Glück für dich, Kumpel!«, spottete Zeke. »Schlimm, verstehst du, wenn man nach seinem Äußeren beurteilt wird. Kann ja sein, dass wir von außen gemein aussehen, aber innen drin …«, er machte eine Pause und kam so nahe an Pin heran, dass ihre Nasen sich beinahe berührten, »… innen drin sind wir noch viel gemeiner!«
Die anderen Bettler rückten
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