Silence
hätte man sie auch noch nicht gegessen, sondern wie ein Familienmitglied im Haus gehalten. Ich kann es mir kaum vorstellen, in einer Katze etwas anderes, als Nahrung zu sehen. Den anderen in der Kolonie geht es wohl genauso, weswegen es keine Katzen mehr in den Straßen gibt, hat Mutter gesagt. Wie es auch sonst keine Tiere mehr in der Kolonie gibt – nur gut bewachte Hühner. Aber keiner würde es wagen, ein Huhn zu stehlen. Stehlen wird mit dem Tod bestraft.
Ein Kloß kriecht meine Kehle hinauf, als sich der Tesar in unsere Richtung bewegt. Meine Mutter schiebt mich hinter sich und ich nehme Kayla in meinen Rücken. Sie drückt ihr Gesicht in meine Hüfte und wimmert leise. Ich kann noch andere Kinder wimmern hören. Viele der ganz Kleinen haben noch nie einen Tesar zu Gesicht bekommen. Sie kommen nicht oft persönlich her. Die meiste Zeit, haben wir nur mit ihren Sklaven zu tun.
Der Außerirdische kommt näher, sein dunkelgrünes, schuppiges Gesicht starr, vollkommen reglos. Die großen Löcher, die bei ihm da sitzen, wo unsere Nase mit der Stirn verschmilzt, blähen sich auf. Tesare haben keine Lippen, nur einen Schlitz, da wo der Mund ist. Vielleicht sieht man sie deshalb nie lächeln, weil das ohne Lippen nicht geht. Sein ganzer Körper ist mit grün, blau und braun schimmernden Schuppen überzogen, die im Sonnenlicht blitzen.
Er bleibt vor meiner Mutter stehen, mit einer wortlosen Geste fordert er sie dazu auf, ihm den Arm hinzustrecken. Ich halte die Luft an, wage nicht zu atmen. In meiner Brust klopft mein Herz heftig gegen die Rippen. Ich schiele vorsichtig um meine Mutter herum, kann sehen, wie der Chip unter ihrer Haut rot aufleuchtet, als der Ausleser ihn scannt. Meine Finger krallen sich in ihr grobes. Geh weiter, flehe ich in Gedanken. Geh einfach weiter! Kayla drückt ihre Fingernägel in meine Unterarme. Sie ist still geworden. Nur an ihrem zuckenden Körper, der sich nahe an mich drängt, merke ich, dass sie noch immer weint. Sie hat Angst, ein Geräusch von sich zu geben.
Mit seinen schwarzen runden Augen schaut der Tesar mich an. Seine Nasenlöcher öffnen und schließen sich, als schnüffle er nach meinem Geruch. Ich schlucke, löse die Umklammerung meiner Hand von Mutters Arm und halte dem Alien meinen Chip zum Scannen hin. Ich mache die Augen zu, zähle in Gedanken; eins, zwei, drei. Als nichts passiert, hebe ich vorsichtig die Lider. Der Tesar steht noch immer vor mir, schaut mich aus seinen großen leeren Augen an. Augen, die bis in den letzten Winkel finster wie die Nacht sind.
Seine Finger legen sich in meine Haare, ziehen und zerren mich von meiner Mutter weg. Kayla hängt noch immer an meinen Armen. Mit Gewalt stoße ich sie von mir. Wenn er mich haben will, dann soll er nur mich bekommen. Kayla strauchelt, fällt, aber darauf kann ich keine Rücksicht mehr nehmen. Ich konzentriere mich nur, nicht zu stolpern und den Unmut des Wächters zu wecken.
Meine Mutter klammert sich an mich und schreit. »Nicht meine Tochter! Nicht Brenna!« Sie taumelt, stürzt auf die Knie und umklammert meine Beine.
Ich will auch schreien, kann es aber nicht. Die Panik hat meine Stimme geschluckt. Um den Schmerz in meiner Kopfhaut zu verringern, greife ich in mein Haar. Ich möchte die Fingernägel in die ledrige Schuppenhaut des Tesars treiben, aber ich wage es nicht. Ich mache mich schlaff, wehre mich nicht. Ich war noch nie besonders mutig, wenn die außerirdischen Besatzer in der Nähe waren. Es gibt kaum jemanden in der Kolonie, der sie nicht fürchtet.
Der Außerirdische stößt mich plötzlich weg. Ich lande vor den Füßen eines Mannes, der keine Anstalten macht, mir zu helfen. Ich verstehe warum, er will die Aufmerksamkeit des Wächters nicht auf sich ziehen. Mit der Hand reibe ich über meinen Kopf, um den Schmerz zu vertreiben. Noch bevor ich wieder auf meinen Füßen stehe, schnappt sich der Tesar meine Mutter und stößt sie in Richtung des Lasters.
Kayla scheint ihre Angst, vergessen zu haben. Sie schreit aus vollem Hals nach unserer Mutter. Ich kann sie gerade noch zurückhalten, als sie nach vorne stürzen will. Der Wächter am Laster hebt schon seine Waffe und zielt auf meine Schwester. Ich zerre sie zurück in die Menge, wo sie außer Sicht des Aliens ist. Kayla kämpft gegen meine Umklammerung an, sie strampelt und schreit immer weiter. Es ist mir fast unmöglich, sie festzuhalten. Keuchend versuche ich, meine Arme um ihren Oberkörper zu schlingen. Luca, ein Junge in meinem Alter,
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