Silo: Roman (German Edition)
hörte das Knirschen der großen Türen, durch die
Lukas gleich hinaustreten würde. Sie faltete einen Teil der hitzebeständigen
Decke auf und wartete. Es würde alles sehr schnell gehen. Das war ihr klar.
Aber sie würde die Situation unter Kontrolle bekommen. Niemand konnte
herauskommen und sie aufhalten.
Mit einem Kreischen
öffneten sich die Türen zu Silo achtzehn, und zischend entwich das Argon.
Juliette wurde vom Nebel verschluckt. Sie schob sich blindlings voran und streckte
die Arme aus, die Decke wehte ihr gegen die Brust. Sie rechnete damit, mit
Lukas zusammenzustoßen, mit einem überraschten und verängstigten Mann, mit dem
sie würde ringen müssen, sie war darauf vorbereitet, ihn niederzudrücken und
ihn fest in die Decke einzuwickeln …
… aber da war
niemand in der Tür, kein Körper, der herausdrängte, um dem Feuer zu entkommen.
Juliette fiel quasi
in die Luftschleuse hinein. Ihr Körper erwartete Widerstand, wie ein Stiefel an
der Kante einer im Dunkeln liegenden Treppe, aber da war nichts.
Als das Argon
verpufft war und die Tür sich langsam wieder schloss, hatte sie kurz die
Hoffnung, die winzige Phantasievorstellung, dass es keine Reinigung geben
würde. Dass die Türen einfach für sie geöffnet worden waren, um sie willkommen
zu heißen. Vielleicht war sie auf dem Hügel gesehen worden, man hatte ihr
verziehen, und alles würde nun gut werden.
Als sie endlich
durch die Nebelschwaden hindurchsehen konnte, erkannte sie, dass dem nicht so
war. Ein Mann im Schutzanzug kniete inmitten der Luftschleuse, die Hände auf
den Oberschenkeln, das Gesicht zur inneren Tür gewandt.
Lukas.
Juliette stürzte zu
ihm, als ringsum die Flammen aufblitzten, als die Düsen das Feuer in die Mitte
des Raumes spuckten. Hinter ihr schloss sich die Tür, und sie waren beide
gefangen.
Juliette entfaltete
die Decke vollständig und ging um ihn herum, damit er sie sehen konnte, damit
er wusste, dass er nicht allein war.
Der Anzug konnte
sein Erschrecken nicht verbergen. Lukas zuckte zusammen, er hob den Arm, obwohl
die Flammen schon nach ihm griffen.
Sie nickte, weil sie
wusste, dass er sie durch ihr klares Visier erkennen konnte, auch wenn sie
umgekehrt sein Gesicht nicht sehen konnte. Mit einer Drehung, die sie im Kopf
tausendmal geübt hatte, breitete sie die Decke über seinen Kopf, hockte sich
daneben und bedeckte sich selbst ebenfalls.
Es war dunkel unter
dem hitzebeständigen Klebeband. Um sie herum stieg die Temperatur. Sie
versuchte, Lukas zuzurufen, dass alles gut werden würde, aber sogar sie selbst
hörte ihre Stimme in dem Helm nur gedämpft. Sie schob sich die Enden der Decke
unter Knie und Füße und wand sich, bis die Decke wirklich fest saß. Sie beugte
sich vor, um sie auch unter Lukas festzuklemmen, sie wollte, dass sein Rücken
gut geschützt war.
Lukas schien zu
verstehen, was sie tat. Seine behandschuhten Hände fielen auf ihre Arme und
blieben dort liegen. Sie spürte, wie still er war, wie ruhig. Sie konnte nicht
fassen, dass er beschlossen hatte zu warten, dass er lieber verbrennen wollte,
als die Reinigung zu übernehmen. Sie konnte sich nicht erinnern, dass sich
jemals jemand so entschieden hatte. Das machte ihr Sorgen, als sie sich dort in
der Dunkelheit aneinanderdrängten und es allmählich warm wurde.
Die Flammen leckten
am Klebeband, sie zerrten mit einer Kraft an der Decke, die sie spüren konnte
wie einen starken Wind. Es wurde unglaublich heiß, ihr stand der Schweiß auf
Stirn und Oberlippe, obwohl ihr Anzug so gut isoliert war. Die Decke würde die
Flammen nicht abhalten können. Sie würde Lukas in seinem Anzug nicht am Leben
halten können. Die Angst in ihrem Herzen galt allein ihm, auch als die Hitze
ihre eigene Haut zu versengen begann.
Ihre Panik schien
sich auf ihn zu übertragen, wahrscheinlich erlitt er noch stärkere
Verbrennungen als sie. Seine Hände zitterten auf ihren Armen. Und dann spürte
sie geradezu, wie er wahnsinnig wurde, wie er es sich anders überlegte, wie er
anfing zu verbrennen oder was auch immer .
Lukas schob sich von
ihr weg. Helles Licht drang unter ihre schützende Kuppel, als er die Decke
wegzutreten begann.
Juliette schrie, er
solle damit aufhören. Sie kroch ihm hinterher, griff nach seinem Arm, seinem
Bein, seinem Stiefel, aber er trat sie und schlug sie und versuchte panisch,
von ihr wegzukommen.
Die Decke fiel ihr
vom Kopf, sie wurde geblendet von dem gleißenden Licht. Sie spürte die Hitze,
hörte, dass ihr Helm knisterte, ihr
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