Silver Linings (German Edition)

Baltimore. Die Kamera ist auf die Eingangstür gerichtet, aber das Tanzparkett und auch die Band sind zu sehen. Der Leadsänger sagt ins Mikrophon: «Beginnen wir die Hochzeitsfeier nach Philadelphia-Art», woraufhin die Bläser die Eröffnungsklänge von «Gonna Fly Now!» spielen. Dann setzen Gitarrist, Bassist und Drummer mit ein, und obwohl es sich nicht genauso anhört wie der Titelsong von Rocky, ist die Version ganz passabel.
    «Die Eltern des Bräutigams, Mr. und Mrs. Patrick Peoples!»
    Unsere Gäste klatschen höflich, als meine Mom und mein Dad Arm in Arm über die Tanzfläche schreiten, und die gequälte Miene meines Vaters lässt erahnen, dass es einer der schlimmsten Momente seines Lebens war, auf meiner Hochzeit angekündigt zu werden.
    «Die Eltern der Braut, Mr. und Mrs. George Gates.»
    Nikkis Eltern betreten den Saal mit ein paar Hüpfschritten, als wären sie beschwipst, was sie auch waren, und ich lache bei dem Gedanken daran, wie lustig meine Schwiegereltern sein konnten, wenn sie getrunken hatten. Ich vermisse Nikkis Eltern wirklich.
    «Die zweite Trauzeugin der Braut, Elizabeth Richards, und der zweite Trauzeuge des Bräutigams, Ronnie Brown.»
    Liz und Ronnie kommen herein und winken unseren Gästen zu, als wären sie Royals oder so, was etwas seltsam war und nur zur Folge hatte, dass ihr Applaus eher gedämpft ausfiel. Ronnie sieht auf dem Video jung aus, und ich muss daran denken, dass er noch nicht Vater war, dass es Emily noch gar nicht gab, als das Video gedreht wurde.
    «Die erste Trauzeugin der Braut, Wendy Rumsford, und der erste Trauzeuge des Bräutigams, Jake Peoples!»
    Jake und Wendy gehen über die Tanzfläche und direkt auf die Kamera zu, bis ihre Gesichter auf dem riesigen Flachbildfernseher meines Vaters überlebensgroß sind. Wendy kreischt einfach nur, als wäre sie bei einem Eagles-Spiel oder so, aber Jake sagt: «Alles Gute für dich, Bruder!» Dann küsst er die Kameralinse und hinterlässt einen lippenförmigen Schmierfleck. Ich sehe die Hand des Videofilmers auftauchen und rasch die Linse mit einem Lappen abwischen.
    «Und nun, Ladys und Gentlemen, darf ich vorstellen: das frischgebackene Brautpaar, Mr. und Mrs. Pat Peoples!»
    Alle stehen auf und klatschen und jubeln, als wir in den Saal kommen. Nikki sieht so schön aus in ihrem Hochzeitskleid. Sie hat diese süße, schüchterne Kopfhaltung – das Kinn tief gesenkt –, und bei ihrem Anblick muss ich weinen, weil ich sie so unglaublich vermisse.
    Als wir aufs Tanzparkett gehen, beginnt die Band ein neues Stück, und ich höre diese sexy Synthesizer-Akkorde, schwache Hi-Hat-Schläge, und dann fällt der Sopransaxophonist mit ein, und Songbird hebt an.
    Irgendwas in meinem Kopf beginnt zu schmelzen, und es fühlt sich an, als hätte ich Kältekopfschmerzen – oder als würde jemand mit einem Eispickel auf mein Gehirn einstechen. Ich sehe den Fernseher nicht mehr, ich sehe die Straße durch eine beschlagene Windschutzscheibe, und es regnet sintflutartig. Es ist nicht mal vier Uhr nachmittags, aber es ist so dunkel wie mitten in der Nacht. Ich bin stinksauer, weil das Turnhallendach schon wieder leck ist wie ein Sieb und ich deshalb das Basketballtraining absagen musste, obwohl wir ein wichtiges Spiel vor uns haben.
    Ich will nur noch unter die Dusche und mir dann Spiele auf Video anschauen.
    Aber als ich nach Hause komme, höre ich ein Sopransaxophon stöhnen, und es ist seltsam, dass Kenny Gs Smooth Jazz um diese Uhrzeit aus dem Badezimmer kommt. Mr. Gs Klänge umwirbeln mich. Ich öffne die Badezimmertür. Ich spüre, wie der Dampf über meine Haut leckt, und ich frage mich, wieso Nikki unseren Hochzeitssong unter der Dusche hört. Kenny Gs Solo hat erneut einen Höhepunkt erreicht. Der CD-Player steht auf dem Waschbecken, und zwei Kleiderhaufen liegen auf dem Boden, neben dem CD-Player sehe ich eine Herrenbrille. Sexy Synthesizer-Akkorde, schwache Hi-Hat-Schläge.
    «Du verdammte Nutte!», schreie ich, als ich den Duschvorhang von der Stange reiße und so viel schreckliche, seifenschaumige nackte Haut zum Vorschein kommt.
    Ich stehe in der Wanne. Meine Hände umfassen seinen Hals. Ich bin jetzt zwischen ihnen, die Dusche spritzt mir heiße Stacheln hinten auf die Jacke, macht meine Jogginghose schwer, und er ist in der Luft, fleht mich mit den Augen an, bettelt um einen Atemzug. Seine Hände versuchen, meine Umklammerung zu lösen, aber er ist ein kleiner, schwacher Mann. Nikki schreit; Kenny G spielt;