Simon Schweitzer - immer horche, immer gugge (German Edition)
Zimmers gab es kein Fenster, da hinter der Wand das Nachbarhaus begann.
Simon Schweitzer war sehr zufrieden mit der Welt. Als der erste Tetrahydrocannabinol-Schub sein Hirn erreichte, legte er sich ins Bett und rauchte dort weiter. Erst als der letzte Rest des Joints seine Finger zu verbrennen drohte, drückte er ihn in einem billigen Reklameaschenbecher aus gelbem Plastik aus. Dann gab er sich restlos den Bildern hin, die das Gedächtnis aus seinem unendlichen Fundus hervorzauberte.
Es war kein Geräusch, das Simon Schweitzer weckte, sondern ein Gefühl, ein wohliges Gefühl in seinem Bauch. Obschon er die in einer Blumenampel über seinem Bett schwebende Muehlenbeckia als erstes erblickte, als er seine Augen öffnete, und sein Blick dann auf eine überdimensionierte Rosette aus Gipskalkmörtel wanderte, sah er doch nur Babsis Gesicht. Er setzte sich hin und schaute auf die Uhr neben dem Fenster. Es dauerte ein paar Sekunden, bis sich seine Augen an das relative Dunkel gewöhnt hatten und er die Zeiger erkennen konnte. Zwölf Uhr. High noon, Zeit zum Aufstehen. Er schwang die Füße herum, seine Glieder waren vom letzten Joint ein wenig schwer, und griff sich seinen Bademantel, der an der Tür hing. Wie jeden Morgen kontrollierte er zuvörderst den Anrufbeantworter. Keine Anrufe, das bedeutete, daß sein Chef ihn heute wahrscheinlich nicht mehr benötigte. Dann stellte er das Telefon wieder auf normale Lautstärke, ging in die Küche und kochte sich einen starken Kaffee. Daß sein Chef, der gleichzeitig die Position des Schwagers einnahm, seine Dienste heute nicht mehr in Anspruch nahm, erhöhte die Chance, diesen sonnigen Tag zu einem Volltreffer werden zu lassen. Heute abend würde er mit einem bißchen Glück Babsi sehen, und der Nachmittag ließe sich mit einem Spaziergang trefflich aufwerten. Außerdem war Laura, seine Wohnungsgenossin, oder Untermieterin, wie es wohl korrekt hieß, auf Arbeit, so daß er keine, mitunter doch arg anstrengende, Konversation mit ihr zu betreiben hatte und sich voll und ganz der ein oder anderen Tagträumerei hingeben konnte.
Noch im Bademantel stapfte er die vier Stockwerke hinunter und versorgte sich mit Post und abonnierter Frankfurter Rundschau. Wieder oben angekommen, war der Kaffee durchgelaufen, und Herr Schweitzer machte es sich gemütlich. Da er heute nicht einkaufen gehen mußte, das hatte er gestern erledigt, war auch genug zum Frühstück zu Hause. Er wollte gerade den Bericht über das einundzwanzigste Drogenopfer dieses Jahres anfangen, als ihm ein Traum der letzten Nacht einfiel. Soweit Simon Schweitzer die Einzelteile zusammensetzen konnte, spielte Babsi darin die Rolle einer wehrlosen Holden, die von durch die Gegend marodierenden Indianerhorden gefangen genommen worden war. Kurz vor dem endgültigen Dahinscheiden am Marterpfahl war dann Herr Schweitzer in voller Rittermontur mit Dreizack und Morgenstern auf den Plan getreten und hatte seine Angebetete nach einer alsbald zu seinen Gunsten entschiedenen Schlacht heldenhaft aus den Klauen des Bösen befreit. So ein Schmarrn, dachte Simon Schweitzer und widmete sich mit aller Macht dem Drogentoten.
Später, als die Kraft der Sonne schon ein wenig nachgelassen hatte, ging Herr Schweitzer spazieren. Dabei kam er an einem der zahlreichen Kioske vorbei, welche in dieser Gegend auch Wasserhäuschen genannt werden, an dem sich einige Saufnasen tummelten. Erst als er schon fast vorüber war, erkannte er Jonathan, den Fensterputzer und grüßte ihn noch flugs durch ein erkennendes Kopfnicken, das auch freundlich erwidert wurde. Jonathan der Fensterputzer war in Sachsenhausen eine Institution. Die meisten Kleingewerbetreibenden gehörten zu seiner Klientel. Er war hier aufgewachsen und zur Schule gegangen. Simon Schweitzer hatte ab und an einige Sätze mit ihm gewechselt, wenn er sich etwas am Wasserhäuschen zu besorgen hatte oder ihm sonstwo begegnet war. Aber heute hatte er keine Lust auf einen kurzen Plausch mit ihm. Etwas später hatte er das Wohngebiet und den Verkehr hinter sich gelassen und war in die Kleingartenanlage eingetaucht, die sich am Hang entlang fast bis hoch zum Goetheturm erstreckte.
Zwei Gärten nach dem Clubhaus des hiesigen Wander- und Forstvereins e.V., auf dessen Gelände die Deutschlandflagge schlaff an einem alles überragenden Mast hing, waren mit weißer Farbe drei Flugzeuge nebeneinander quer über den Asphalt gepinselt. Vier oder fünf Autos mußten darüber hinweggefahren sein, als die
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