Königreich der süßen Versuchung
1. KAPITEL
Das wird er mir nie verzeihen.
Von der anderen Seite des Speisesaals aus betrachtete Andi Blake verstohlen ihren Boss. Wie immer wirkte er vollkommen gelassen und sah in seinem schwarzen Dinnerjackett unverschämt gut aus. Das schwarze Haar hatte er glatt nach hinten gekämmt. Mit zusammengezogenen Augenbrauen überprüfte er die Sitzordnung, die sie auf die Anrichte gelegt hatte.
Aber vielleicht war die ihm auch total egal. Denn Jake Mondragon war offensichtlich durch nichts aus der Ruhe zu bringen. Was er eindeutig bewiesen hatte, als er seinen Job als erfolgreicher Investor in Manhattan aufgegeben hatte, um König in dem kleinen Bergstaat Ruthenia zu werden. Wie konnte sie daher annehmen, dass ihre Kündigung mehr als ein Schulterzucken hervorrufen würde? Vielleicht nicht einmal das, so bitter es auch war.
Nervös knüllte Andi den Umschlag mit der offiziellen Kündigung zusammen. Jetzt oder nie! schoss es ihr durch den Kopf. Sonst verlässt mich noch der Mut. Sie musste die Gelegenheit nutzen, und wenn es ihr noch so schwerfiel. Denn wenn sie jetzt nicht kündigte, würde sie über kurz oder lang Jakes Hochzeit organisieren müssen. Und das war eine unerträgliche Vorstellung. Vieles hatte sie in Kauf genommen, seit sie drei Jahre zuvor ihr geräumiges Büro in Manhattan mit diesem düsteren Palast vertauscht hatte. Aber die Vorstellung, dass ihr Boss eine andere Frau heiratete, überstieg eindeutig ihre Kräfte.
Ich muss endlich an mich und mein eigenes Leben denken.
Entschlossen straffte sie die Schultern und ging an der langen Tafel vorbei, die für fünfzig von Jakes engsten Freunden gedeckt war. Als sie näher kam, blickte Jake hoch. Und wie immer, wenn er sie mit seinen fast schwarzen Augen fixierte, fing ihr Puls an zu rasen. „Andi könnten Sie mich bitte neben Maxi Rivenshnell und nicht neben Alia Kronstadt setzen? Ich habe gestern bei den Hollernsterns schon neben Alia gesessen, und ich möchte nicht, dass Maxi sich vernachlässigt fühlt.“
Auch das noch. Dass sie sich um seine Frauengeschichten kümmern musste, hatte ihr gerade noch gefehlt. Die einflussreichsten Familien von Ruthenia wetteiferten darum, ihre Töchter im heiratsfähigen Alter möglichst vorteilhaft zu präsentieren. Denn schließlich war der „Posten“ der zukünftigen Königin zu vergeben. Welche Rolle spielte es da schon, was die kleine, unbedeutende Andi aus Pittsburgh dabei empfand?
„Ich kann Sie doch zwischen die beiden setzen.“ Andi bemühte sich um einen gleichmütigen Tonfall, was ihr nicht leichtfiel. Am liebsten hätte sie ihm den Umschlag an den Kopf geworfen. „Dann können Sie mit beiden gleichzeitig flirten.“
So hatte sie noch nie mit ihm gesprochen. Kein Wunder, dass er sie leicht irritiert ansah. „Ach, und hier ist übrigens meine Kündigung“, fügte sie schnell hinzu und hielt ihm den Brief hin. „Nach dieser Party verlasse ich Ruthenia.“
„Sie machen Witze, oder?“
Dass er ihr nicht glaubte, überraschte sie nicht. „Keineswegs. Das ist mein voller Ernst. Heute Abend bleibe ich noch hier. Schließlich bringe ich alles zu Ende, was ich einmal angefangen habe. Aber morgen früh reise ich ab.“ Dass sie so ruhig bleiben konnte, überraschte sie selbst. „Tut mir leid, dass ich mich nicht an die Kündigungsfrist von zwei Wochen gehalten habe. Aber in den letzten drei Jahren habe ich so gut wie keinen Urlaub gehabt, und da sollten Sie mir die kurzfristige Kündigung nachsehen. Die Feier zum Unabhängigkeitstag ist bestens vorbereitet. Jeder weiß, was er zu tun hat. Und ich bin sicher, Sie werden mich nicht vermissen.“
„Sie nicht vermissen? Wie kommen Sie denn darauf? Die Feier zum Unabhängigkeitstag ist das wichtigste Ereignis des Jahres in der Geschichte Ruthenias, zumindest seit dem Bürgerkrieg von 1502. Ohne Sie geht gar nichts, das wissen Sie doch genau.“
Das war mal wieder typisch für Jake. Ihre Wünsche spielten überhaupt keine Rolle. Und es ging ihm auch nicht um sie, sondern nur darum, dass an dem großen Tag nichts schiefging. Seit sechs Jahren arbeiteten sie jetzt zusammen, und Jake Mondragon kannte sie im Grunde gar nicht. Während sie quasi alles von ihm wusste. In diesen sechs Jahren war er zum Mittelpunkt ihres Lebens geworden, und leider hatte sie sich unsterblich in ihn verliebt.
Und er schien nicht einmal zu bemerken, dass sie eine Frau war …
Beunruhigt blickte er auf sie hinunter. „Ich habe doch immer gesagt, dass Sie mal Ferien machen
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