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Sind wir bald da

Sind wir bald da

Titel: Sind wir bald da Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Haipl
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der eigenen Angst zu arrangieren. Das Gefühl hingegen ist ein cooler Hund. Hat Sonnenbrillen auf, scheißt sich nichts und hat Spaß dabei. Jedenfalls: erster Eindruck = wichtig.
    Außerdem habe ich gelernt: Im Nachhinein ist alles immer viel weniger schlimm. Wenn man von etwas überzeugt ist, dann sind es bald auch alle anderen. Problem: Warum sind so viele Vollidioten von sich und ihren Ideen überzeugt?
    Schließlich kann ich einigermaßen mit einer Nähmaschine umgehen, Sequencer programmieren und Blockflöte spielen. Blockflöte spielen kann freilich jeder Pfosten. Die Existenz von Flötenlehrerinnen ist — abgesehen davon, dass sie meist sehr nette und angenehme Menschen sind — völlig unnötig. Wenn jemand nicht Blockflöte spielen kann, sollte man überprüfen, ob er oder sie atmen, zu Fuß gehen und sich den Hintern auswischen kann. Oder ob er oder sie vielleicht nicht doch ein Cyborg ist. Oder ein Tisch. Oder ein Philodendron. Also Lebensformen, bei denen man zu Recht davon ausgehen kann, dass sie nicht Blockflöte spielen können. Bei Menschen akzeptiere ich das nicht.
    Jedenfalls bin ich dann mit Xaver in unser Stammlokal gegangen und habe versucht, Hirn, Augen und Ohren voneinander zu trennen. Ich muss das machen, wenn ich mit Xaver unterwegs bin. Würde ich Ohren und Hirn nicht entkoppeln, müsste ich über den ganzen Wahnsinn nachdenken, den er mir erzählt. Und wären meine Augen weiter mit meinem Hirn verkabelt, könnte ich nicht scheinbar auf ihn reagieren und zugleich am Telefon meine Facebook-Einträge abfragen. So aber wackelt mein Kopf in periodischen Abständen wie bei einem Wackeldackel, mein Mund sagt hin und wieder: »Ah ja, jaja, soso«, und meine Augen und Ohren checken Facebook und E-Mails, während mein Hirn ganz woanders ist. Meistens dabei, sich Sorgen zu machen und zu überlegen, wie ich am besten, einfachsten und dauerhaftesten die Weltherrschaft, Ruhm, Reichtum und große Zufriedenheit erringen könnte.
    Das ist, wie Sie sich unschwer vorstellen können, sehr anstrengend, und nicht zuletzt deshalb würde ich gerne damit aufhören.

Freitag, 1. Mai
    Ich bin heute das erste Mal seit Jahren nicht vom Mai-Aufmarsch geweckt worden. Die letzten ihrer Art marschieren jedes Jahr am i. Mai durch die Straße, in der ich wohne und spielen dann am Rathausplatz »Moskau, roter Platz 1976«. Früher dachte ich immer, das sei eine Art Faschingsumzug. In etwa so wie bei den Amerikanern, die in Originalkostümen die Schlacht von Gettysburg nachstellen. Oder wie die Niederösterreicher, die sich gerne wie römische Legionäre aus Carnuntum verkleiden. Mein Gott, warum nicht? Ich verkleide mich ja auch gerne. Und wenn man dann noch einen Haufen Gleichgesinnte hat, mit denen man frei von jedem falschen Schamgefühl Rollenspiele machen kann, bevor man sich betrinkt... Würde mir auch gefallen. Jedenfalls dachte ich früher immer, dass das am 1. Mai am Rathausplatz so ähnlich funktionieren würde. Dicke Männer mit grauen Haaren, die rote Nelken halten und laut schreien. Das hat mich an die Nachrichten aus meiner Kindheit erinnert, an Breschnew und Andropow . Also habe ich geglaubt, die machen so etwas Ähnliches wie die Herren, die in Niederösterreich als römische Legionäre gehen.
    Jedenfalls haben die Lauser mich heute nicht aufgeweckt. Gegen halb neun in der Früh marschieren sie normalerweise lärmend an meinem Fenster vorbei. Vielleicht war ich zu betrunken und habe sie deswegen nicht gehört. So gesehen müsste ich Xaver dankbar sein, dass ich wegen seiner Verführungskunst den Einmarsch der Roten Armee verschlafen habe. Auch nicht schlecht.
    Ich schreibe mir auf Post- it - Zettelchen gerne auf, was ich an einem Tag zu erledigen gedenke. Natürlich ist das immer viel zu viel. Wenn ich es aber nicht tue, erdrückt mich das Chaos und das schlechte Gewissen quält mich, dass ich nichts weiterbringe. Wenn ich es tue und alles gewissenhaft aufschreibe, dann quält mich freilich das schlechte Gewissen, nicht einmal einen Bruchteil des Pensums abgearbeitet zu haben, und die schiere Masse an Erledigungen, die es theoretisch gibt, erdrückt mich. Die Erkenntnis, was ich alles nicht erledigen kann — an einem Tag, einer Woche, nicht in einem Leben — , die ist sehr niederschmetternd. Immer wieder. Weil das alles so erdrückend ist, habe ich vermutlich sehr schlechten Stuhlgang gehabt.
    Na ja, ich schreibe also auf einen gelben Post- it -Zettel, was ich so alles vorhabe: ein TV-Konzept fertig

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