Singularität
hüstelte angelegentlich. »Vielleicht
hätte das jemand wirklich tun sollen. Nach dem zweiten
Schlaganfall…«
»Ja, ja.«
»Ich finde es immer noch unvernünftig, dem Alten die
Führung der Flotte anzubieten.«
»Wenn du das für unvernünftig hältst, sollten
wir wohl besser die mögliche Reaktion der Herren von der Marine
erörtern, falls ich ihn nicht als Ersten frage, oder?« Ehe
sein Bruder Gelegenheit zu einer Antwort auf die spitz formulierte
Frage bekam, klingelte erneut das Telefon, auf dem die vorrangigen
Gespräche durchgestellt wurden. Ein Diener in Livree reichte
Seiner Majestät den Apparat aus Elfenbein und Platin. Um
mitzuhören, griff der Herzog nach einer zweiten Ohrmuschel.
»Sir? Mein Gebieter, Admiral Kurtz, ist jetzt
gesprächsbereit. Er bittet vielmals um Entschuldigung
und…«
»Das reicht. Seien Sie so gut und stellen Sie ihn einfach
durch.« Iwan trommelte gereizt auf die Armlehne seines Sessels,
eines grotesken hölzernen Ungetüms, dem nur wenig zum
Folterinstrument fehlte. »Ah, der Admiral. Genau der Mann, den
ich brauche! Großartig, ganz wunderbar, dass wir jetzt
miteinander reden können. Und wie geht es uns heute?«
»Heute, wie?« Das Echo einer quäkenden, zitterigen
Stimme drang unsicher durch die Kupferdrähte. »Ähm, ja
heute. Ja, wirklich. Es geht mir sehr gut, danke der Nachfrage,
verehrte Dame. Sie haben wohl nicht zufällig irgendwelche
Chamäleons gesehen?«
»Nein, Admiral, im Palast gibt es keine
Chamäleons«, stellte der Kaiser mit großem Nachdruck,
aber resigniert fest. »Du weißt doch, wer am Apparat ist,
oder?«
In der darauf folgenden kurzen Stille konnte er fast hören,
wie der alte Admiral vor Verwirrung zwinkerte. Ȁhm,
Majestät? Oh, Iwan, der junge Bursche? Und jetzt schon Kaiser?
Wie schnell doch die Zeit vergeht!«
»Ja, Onkel. Ich rufe an, weil…« Plötzlich
schoss dem Kaiser ein Gedanke durch den Kopf. »Bist du schon auf
und munter?«
»Ja, ahahaha. Ich, äh, sitze in meinem Badestuhl. Es
sind die alten Beine, weißt du, sie sind schrecklich
anfällig. Muss sie in viele Decken einwickeln, damit sie mir
nicht brechen. Die Beine sind auch nicht mehr das, was sie in meiner
Jugend mal waren. Aber ich bin jetzt aus dem Bett gekommen.«
»O gut. Weißt du, hm…« Im Kopf des Kaisers
drehte sich ein Mühlrad, als er die verschiedenen
Möglichkeiten wieder und wieder durchging. Natürlich hatte
er von der Unpässlichkeit des Admirals gehört, war aber bis
jetzt noch nicht persönlich davon tangiert gewesen. Vieles
sprach seiner Meinung nach dafür, den Admiral seines Amtes zu
entheben, denn der Mann war offenkundig krank. Ihn mit dieser Aufgabe
zu betrauen wäre nicht fair und, was noch mehr zählte,
nicht zum Besten des Staates.
Aber er war immer noch der dienstälteste Schlachtenadmiral,
Kriegsheld der Neuen Republik, Verteidiger des Reiches, der den
Ungetreuen ein Blutbad bereitet hatte, Eroberer von nicht weniger als
drei idyllischen und ziemlich rückständigen Kolonien. Und
nicht zuletzt, auch wenn man dem nicht allzu viel Gewicht beimessen
sollte, als Sohn der zweiten Frau des kaiserlichen Großvaters
Iwans Onkel. Aufgrund der langen Tradition, die vorsah, dass Admirale
nie den Ruhestand antraten, hatte keiner jemals daran gedacht,
Vorkehrungen zur Pensionierung alt gewordener Schlachtrösser zu
treffen; normalerweise starben sie längst vor der Zeit, ehe ein
solches Problem überhaupt auftauchen konnte. Undenkbar, ihn zu
entlassen; aber falls man von ihm erwartete, eine Marineexpedition zu
leiten… Iwan kämpfte mit seinem Gewissen und hoffte halb
und halb, der Alte werde den Auftrag ablehnen. Niemand würde ihm
das als unehrenhaft anlasten – wer wollte von einem
Achtzigjährigen im Badestuhl schon verlangen, für sein
Vaterland zu sterben? –, und in der Zwischenzeit würde man
einen starrköpfigen jungen Gernegroß finden, der die
Flotte in den Kampf führte.
Als er sich schließlich zu einer Entscheidung durchgerungen
hatte, holte der Kaiser tief Luft. »Wir haben ein Problem: Etwas
Abscheuliches ist passiert, Rochards Welt steht unter Belagerung. Ich
werde die Flotte entsenden. Bist du zu krank, um die Führung zu
übernehmen?« Er zwinkerte seinem Bruder, dem Herzog, zu und
hoffte…
»Krieg!«, bellte der Alte so laut, dass Iwan fast die
Ohren abfielen. »Sieg den ewig wachsamen Streitkräften der
Rechtschaffenheit, die alle Feinde der Neuen Konservativen
unermüdlich bekämpfen! Tod den Befürwortern von
Veränderung!
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