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Singularität

Singularität

Titel: Singularität Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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einige teuflisch komplizierte Gengruppen, die
für die Steuerung der Exprimierung zuständig waren,
assimilierten und zerlegten die Chromosomen all dessen, was ihre
Wirte schluckten. Ein Feed-back-System – das zwar nicht mit
Bewusstein begabt war, aber mehr als eine vegetative Existenz
führte – hatte die Exprimierung eines genetischen Bauplans
erreicht, der seine Lebensfähigkeit vor Ort bewies, obwohl er
schon vor tausenden von Jahren geschaffen worden war. Es war eine
Pflanze, die in den hiesigen Straßen existieren konnte, ein
ganz normaler Saprophyt, der sich von toter organischer Materie
ernährte, für das Leben auf Rochards Welt allerdings
optimiert worden war.
    Riesige Zellmembranen voller Zytoplasma verbreiteten ihre Wurzeln
quer durch den Kiefernwald, erstickten die Bäume und ersetzten
sie durch Pflanzen, die wie farblose Pinien aussahen. Diese Pflanzen
trugen Früchte: Pilze, die auf den verdauten Überresten
eines ganzen Ökosystems aus dem Boden schossen. Und sie wuchsen
schnell. Spezielle Zellen tief in ihrem Innern sonderten Enzyme ab,
die als Katalysatoren wirkten und die polysacchariden Moleküle
nitrierten, während sich in ihrer äußeren Schale
große Gefäße mit elektrischer Leitfähigkeit
befanden, die pflanzlichen Neuronen ähnelten. Die Parasiten des
Waldes wuchsen mit irrer Geschwindigkeit, bis zu einen Meter pro Tag.
Dieses Projekt war auf eine viel längere Dauer angelegt als die
Vernetzung der von der Außenwelt abgeschnittenen Zivilisation,
auf die das Festival völlig zufällig gestoßen war
– und es war auch viel ehrgeiziger, als die mit Bewusstsein
begabten Passagiere des Festivals ahnen konnten. Sie nahmen lediglich
die Ausbreitung einer lästigen Vegetation wahr, die nervende,
manchmal auch gefährliche Plage, die dem Festival ebenso sicher
folgte wie die Possenreißer und andere Geschöpfe des Fringe. Sobald die trockene Jahreszeit begann, würde der
Wald des Festivals leicht Feuer fangen können. Derzeit jedoch
war er nur ein Nebenschauplatz, der immer noch seiner Bestimmung
harrte, derweil die Pflanzen nach und nach in die Höhe schossen.
Und diese Bestimmung würde der Wald etwa zu dem Zeitpunkt
erfüllen, der mit dem Sterben des Festivals zusammenfiel.
     
    Fünfzig Kilometer über dem Meer flog die Rettungskapsel
der Marine immer noch mit zwölffacher Schallgeschwindigkeit
dahin. Nach dem Wiedereintritt in die Atmosphäre liefen die
Rotoren hinter dem Schutzschild an, gleich würde die
Autorotation beginnen.
    »Da wünschte man doch, die Admiralität hätte
sich das Luxusmodell geleistet«, murmelte Leutnant Kossov mit
zusammengebissenen Zähnen, als die Kapsel ins Schlingern geriet,
heftig wackelte und wie ein brennendes Natriumklümpchen auf
einem Wasserbecken durch die Ionosphäre hopste. Als Kommandeur
Leonow ihn mit einem finsteren Blick bedachte, grunzte er, als
hätte ihm jemand einen Stoß versetzt, und hielt fortan den
Mund.
    Dreißig Kilometer tiefer und fünfzehnhundert Kilometer
näher an der Küste des nördlichen Kontinents
löste sich der Plasmaschild auf. Die Rotoren, die an ihren
Spitzen weiß leuchteten, gingen in der hohen Stratosphäre
in den Freilauf über und wirbelten so schnell herum, dass sie
wie eine einzige glänzende Scheibe wirkten.
    In den Beschleunigungssitzen des Cockpits schlug sich die
Besatzung mit dem Problem herum, wie sie einen selbstdrehenden
Kreisel, der sich immer noch mit fünffacher
Schallgeschwindigkeit bewegte, ohne Bodenkontrolle und
Leitinstrumente auf einer Rollbahn landen sollte, dazu noch auf
einer, die höchstwahrscheinlich von Feinden belagert wurde.
Robard stockte das Blut, als er darüber nachdachte. Instinktiv
warf er einen Blick zu seinem Herrn und Meister hinüber. Da er
sein Leben ganz und gar der Aufgabe gewidmet hatte, für den
Admiral zu sorgen, war ihm dies zur festen Gewohnheit geworden. Immer
noch suchte er Führung bei ihm, auch wenn das alte Schlachtross
kaum noch bei Bewusstsein war.
     
    »Wie steht es um ihn?«, fragte Robard.
    Dr. Hertz blickte flüchtig auf. »So wie man es unter
diesen Umständen erwarten darf«, erwiderte er kurz
angebunden. »Haben Sie seine Medikamente dabei?«
    Robard zuckte zusammen. »Nur die für die nächste
Einnahme. Es waren einfach zu viele Pillenflaschen…«
    »Na, dann…« Hertz kramte in seiner Ledertasche und
entnahm ihr eine bereits aufgezogene Spritze. »Hat er eigentlich
Laudanum eingenommen? Ich erinnere mich zwar nicht daran, es ihm
verschrieben zu haben,

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