Sinnliche Maskerade
glaube, beim nächsten Zug bin ich matt, ganz gleich, was ich mache.«
»So sieht es aus.« Seine Stimme war kalt, die Augen eisig. »Sie hätten mich allerdings mehr beeindruckt, wenn Sie mit ein wenig mehr Raffinesse verloren hätten, Ma’am.«
Alex legte ihren König und murmelte:
»Warum sollte ich wünschen, Sie zu beeindrucken, Sir? Ich habe Sie doch vor einem armseligen Schachspiel gewarnt.«
»Ja, allerdings ... aber vielleicht ist Ihnen entgangen, Mistress Hathaway, dass Sie den Handschuh geworfen haben. Einer Herausforderung kann ich niemals widerstehen.« Er schob den Stuhl zurück und erhob sich. »Eines Tages werden wir Schach spielen. Richtig.« Damit eilte er fort.
Als sie die Figuren in die Box zurücksortierte, konnte Alex unmöglich das Gefühl leugnen, dass sie ihre so sorgsam errichteten Grenzen gerade eben niedergerissen hatte. Denn anstatt ihn mit einem unbegabten Spiel zu langweilen, hatte sie ihn einfach nur beleidigt. Und wenn du ehrlich bist, dachte sie, wärst du auch beleidigt gewesen, wenn irgendjemand dir so ein Spiel zugemutet hätte. Verdammt. Warum konnte Peregrine nicht einfach akzeptieren, dass sie für ihn unerreichbar war, ihm nichts zu bieten hatte?
Erschöpft ließ sie die Schultern kreisen und spürte, wie das Kissen verrutschte. Rasch überzeugte sie sich, dass niemand zu ihr hinüberschaute. Der Honorable Peregrine war mit Marcus und einigen anderen Gentlemen in ein Gespräch vertieft; also konnte sie unauffällig aus dem Salon verschwinden.
Peregrine bemerkte auch ohne zu ihr hinüberzuschauen, dass sie verschwand. Irgendwie schien das Zimmer leerer, nachdem sie hinausgeschlüpft war.
»Wollen wir würfeln, mein Lieber?« Einladend klapperte Marcus mit den Würfeln.
Peregrine lehnte ab.
»Nein, Marcus, bitte entschuldige mich. Ich möchte früh zu
Bett.«
»Wie du meinst«, gab Marcus entspannt zurück. »Morgen brauchst du vor der Mittagszeit gar nicht nach mir zu fragen.« Er schloss sich einem Trupp lärmender Würfelspieler an.
Peregrine ging zur Tür. Sein Gastgeber war in ein Kartenspiel mit erschreckend hohem Einsatz vertieft, und seine Gastgeberin saß mit einer lebhaften Gruppe am Kamin und spielte ein Kartenspiel namens Lanterloo. Niemand bemerkte, dass er den Salon verließ und sich auf den Weg zur Auffahrt machte. Es war eine herrliche Mondnacht. Schon bald würde der Herbst einkehren; aber heute Nacht hing noch der Sommer in der weichen, beinahe milden Böe, die vom Meer blies.
Er ging am Witwenhaus vorbei quer über den Rasen zu den Klippen und genoss die Seeluft auf seinen Wangen. Seine fröhliche Stimmung war gründlich dahin. Normalerweise konnte er die Launen des Schicksals geduldig und gelassen ertragen; aber Mistress Alexandra Hathaway war es gelungen, seine Gelassenheit in ein leuchtendes Feuer der Empörung zu verwandeln. Wie konnte sie es nur wagen, sich vor ihm derart als Dummkopf aufzuspielen? Warum auch immer sie diese Scharade spielte — und er wollte gern hinnehmen, dass es aus überlebensnotwendigen Gründen geschah —, sie hatte keinesfalls das Recht, ihn wie einen Idioten zu behandeln.
Alexandra seufzte erleichtert, als sie den Schutz ihres Schlafzimmers erreicht hatte, und schloss die Tür hinter sich. Sorgfältig entfernte sie sämtliche Spuren ihrer Verkleidung, zog sich das Nachthemd an und setzte sich mit einem Gläschen Madeira — dem letzten aus ihrer nunmehr geleerten Flasche - auf die Fensterbank und wartete darauf, dass sie schläfrig wurde. Aber eine Unbehaglichkeit hatte sie beschlichen, die sie einfach nicht mehr loswerden konnte. Sie hätte mit Peregrine nicht so idiotisch spielen dürfen. Denn das hieß, mit dem Feuer zu spielen. Er war kein Dummkopf, hatte sie durchschaut, und es hatte ihn verär-gert. Würde er sie jetzt verabscheuen - ganz so, wie sie es doch eigentlich erhoffte? Würde er aufhören, sie zu provozieren? Oder würde genau das Gegenteil eintreten? Hatte sie ihr Blatt überreizt?
Oh, warum hatte Peregrine Sullivan nur auf Combe Abbey auftauchen müssen? Warum konnte das Schicksal sie nicht ein einziges Mal ungehindert ihren Weg gehen lassen? Es war doch schon schwer genug, diesem Weg zu folgen. Normalerweise versank sie nicht in Selbstmitleid, aber seit einigen Minuten haderte Alexandra sehr mit dem Schicksal und den Ungerechtigkeiten, die es ihr zuteil werden ließ. Aber dann wischte sie sich die Tränen ab und schaute den Tatsachen wieder fest in die Augen. Was musste sie mehr tun, als Mr.
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