Sinnliche Maskerade
Prolog
Januar 1763
»Aber ich verstehe das nicht.« Alexandra Douglas starrte auf die zwei Gegenstände, die der Anwalt ihr auf den Schreibtisch gelegt hatte. »Das soll unsere Erbschaft sein?« Sie berührte den schweren goldenen Siegelring und die mit Diamanten besetzte Uhrtasche, bevor sie mit einem besorgten Blick aus ihren klaren grauen Augen zu Anwalt Forsett aufschaute. »Sylvia und ich sollten nach Papas Tod jeweils zehntausend Pfund bekommen. Das hat er mir selbst gesagt.«
Der Anwalt rieb sich das Kinn. Dann räusperte er sich.
»Mistress Douglas, Ihre Lebensumstände und die Ihrer Schwester haben sich geändert, als Sir Arthur sich von Ihrer Mutter hat scheiden lassen.«
»Das ist mir wohl bewusst, Sir«, erwiderte Alexandra ein wenig streng. »Als meine Mutter das letzte Mal fortgelaufen ist, wurde ich ins Konvikt St. Catherines gesteckt, und Sylvia musste bei unserer alten Kinderfrau bleiben. Das sind doch deutlich andere Umstände als in unserem früheren Leben in Combe Abbey. Da machen wir uns nichts vor, Sir.«
Eine Spur Mitgefühl lag im Blick des Mannes, als er seine Besucherin anschaute.
»Es gibt da noch einen Aspekt in Ihren geänderten Lebensumständen, Mistress Douglas, den Sie vielleicht noch nicht voll und ganz verstanden haben.« Wieder räusperte er sich. »Ihr rechtlicher Status hat sich ebenfalls verändert.«
Eine düstere Vorahnung erschütterte Alexandras gefasste Haltung.
»Rechtlicher Status?«, hakte sie nach.
Der Anwalt seufzte. Was für ein verabscheuungswürdiger Schlamassel. Unzählige Male hatte er seinem Mandanten Sir Arthur Douglas gesagt, dass er es seinen beiden Töchtern schuldig war, ihnen zu erläutern, was seine Scheidung für sie zu bedeuten hatte ... Aber Sir Arthur hatte sich standhaft geweigert, die Sache als dringlich einzustufen.
»Alles zu seiner Zeit, mein Lieber.« Der Anwalt hatte den brüsk ablehnenden Tonfall noch so deutlich im Ohr, als ob sein Mandant direkt vor ihm säße - und nicht tot und begraben im Mausoleum der Familie liegen würde. In Wahrheit hatte Sir Arthur der Mut gefehlt, seine Töchter über die grässliche Lage zu unterrichten, in die seine selbstsüchtigen Handlungen sie manövriert hatten. Und jetzt lag es bei seinem Anwalt, die Drecksarbeit für ihn zu erledigen.
»Ihr Vater hat die Scheidung von seiner Ehefrau, Ihrer Mutter, a vinculo matrimonii erwirkt«, fing er an.
»Was hat das zu bedeuten?«, unterbrach seine Besucherin, ehe er fortfahren konnte.
»Das, Ma’am, hat zu bedeuten, dass die fragliche Ehe von Anfang an null und nichtig ist, entweder wegen Unzucht unter Blutsverwandten oder wegen Wahnsinns oder ...« Mit leicht geröteten Wangen hielt er inne. »Oder wegen Nichtvollzugs. Sofern etwas davon zutrifft, wird die Ehe aufgelöst, als habe sie niemals existiert. In den ersten beiden Fällen werden alle Kinder aus der Verbindung für illegitim erklärt. Ihr Vater hat Ihre Mutter in absentia für wahnsinnig erklären lassen.«
Langsam begriff Alexandra, in welche Richtung die Sache führte, und aus ihrer düsteren Vorahnung entwickelte sich mehr und mehr eine schreckliche Angst.
»Sylvia und ich sind also Bastarde, Sir? Das haben Sie doch gemeint, oder?«
Seine Wangen färbten sich noch röter. Verlegen hustete er in die Hand.
»Mit einem Wort, ja, Ma’am. Und als uneheliche Kinder haben Sie rechtlich keinerlei Anspruch darauf, irgendetwas vom Anwesen Ihres Vaters zu erben. Es sei denn, es wurden besondere Vorkehrungen getroffen.«
Die junge Frau war sehr blass geworden. Aber ihre Stimme klang immer noch völlig ruhig, und der Blick war konzentriert.
»Ich darf annehmen, dass solcherlei Vorkehrungen nicht getroffen wurden?«
»Ihr Vater hatte die feste Absicht. Aber der Tod traf ihn sehr plötzlich, das heißt, noch bevor es ihm gelingen konnte, für Sie und Ihre Schwester irgendetwas anzuordnen. Jedoch ...« Anwalt Forsett öffnete die Schatulle auf dem kleinen Säulentischchen neben seinem Stuhl. »Sir Stephen Douglas, der Erbe Ihres Vaters, hat sich einverstanden erklärt, Ihnen und Ihrer Schwester jeweils fünfzig Pfund aus dem Vermögen zukommen zu lassen. Nur damit Sie über die Runden kommen, bis Sie eine Anstellung gefunden haben.« Er schob den Bankscheck über den Tisch zu Alexandra.
»Cousin Stephen?«, antwortete sie angewidert mit Blick auf den Scheck. »Das also hält er für fair?«
Der Anwalt fühlte sich sichtlich noch unbehaglicher als zuvor.
»Ich habe Sir Stephen vorgeschlagen, die
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