Sinnliche Maskerade
Prüfungen und die Drangsal ihrer gegenwärtigen Existenz vergessen konnte.
Mit erhobener Hand winkte Perry eine Droschke heran.
»Zur Piazza«, befahl er, öffnete die Tür und stützte Alex mit der Hand unter dem Ellbogen beim Einsteigen. Sie machte es sich auf dem Sitz bequem und schaute aus dem Fenster, als das Gefährt anrollte. Es war eine neue Erfahrung, in einer gewöhnlichen Droschke durch die Straßen Londons transportiert zu werden; auch das Geschehen auf den Straßen selbst übte eine große Faszination auf sie aus, als sie hinausschaute. Bei ihren seltenen Besuchen, die Sylvia und sie dem Berkeley Square abgestattet hatten, war ihnen niemals erlaubt worden, das Haus nach Einbruch der Abenddämmerung zu verlassen, und wenn sie tagsüber hinausgegangen waren, hatte die Anstandsdame in der Familienkutsche sie stets im Blick gehabt.
Peregrine nahm ihr gegenüber Platz. Im flackernden Fackelschein musterte er ihr Gesicht. In ihrer Miene spiegelte sich ihre Faszination, ganz so, als würde sich vor ihren Augen eine ganz neue Welt entfalten. Wer also ist sie eigentlich? Ihr Kleid deutete darauf hin, dass sie irgendwann in der Vergangenheit zu seiner Welt hätte gehören sollen, genau wie ihr Benehmen, ihre Art zu reden, ihre ungewöhnliche Erziehung und natürlich die Gewissheit, dass sie als Mistress Hathaway hart daran gearbeitet hatte, unter einer Fassade der Bescheidenheit all das zu verbergen, was auf eine ganz andere Bestimmung verwies als diejenige, die sie gegenwärtig für sich in Anspruch nahm.
Nicht dass er damit mehr wusste, als er ohnehin schon erfahren hatte; aber es war zusätzliches Öl in sein Feuer.
»Vielleicht sollten Sie sich«, bemerkte er lässig, als sie sich der Drury Lane näherten, »für solche Ausflüge einen anderen Namen zulegen.«
Erschrocken blickte Alexandra ihn an.
»Was soll das heißen?«
»Nun, es soll nur heißen, dass Mistress Hathaway eine jüngferliche Lady eines gewissen Alters ist, ihren Büchern treu ergeben und in Anstellung bei Sir Stephen Douglas. Sie haben hinreichend klargemacht, dass Sie nicht bereit sind, Ihre wahre Identität zu enthüllen ... eine Identität, die Ihren gegenwärtigen Aufzug in gewisser Hinsicht erklären könnte. Daher scheint es logisch, dass Sie sich für diese dritte Identität auch einen anderen Namen zulegen sollten. Falls ich zufällig einen Bekannten treffe, werde ich Sie vorstellen müssen. Ehrlich gesagt, dann wäre ich ziemlich verloren.« Er lächelte missbilligend, wodurch sie sich aber nicht beirren ließ.
»Eine dritte Identität scheint mir die Sache unnötig schwierig zu machen«, erwiderte sie.
»Sie müssen mir verzeihen, Ma’am, aber das haben Sie ganz allein sich selbst zu verdanken«, meinte er schulterzuckend.
»Ganz gewiss nicht, Sir. Denn Sie haben doch auf diesem Abend in der Öffentlichkeit bestanden«, gab sie zurück.
Wieder lächelte er.
»Aber Sie, meine liebe Frau, haben zugestimmt.«
Darauf wusste Alex keine Antwort. Mit einer Mischung aus Resignation und Irritation schaute sie ihn an.
»Ich kann mir nicht erklären, warum es Ihnen so viel Freude bereitet, mich in solch nachteiligen Situationen zu sehen.«
Abwehrend hob er die Hände.
»Alexandra, bitte glauben Sie mir, das war niemals meine Absicht. Ich versuche nur, Ihren undurchschaubaren Schleier der Verwirrung zu lüften. Aber Sie weigern sich, auch nur ein einziges Fädchen beiseitezuschieben, um meine Dunkelheit zu erhellen.«
Alexandra stützte den Ellbogen auf die Fensterbank und starrte hinaus in die Menge, die sich durch die Straßen rund um die große Piazza am Covent Garden schob. Die Stimme der Vernunft in ihr flüsterte, dass Peregrine ganz recht hatte. Und ganz bestimmt durfte sie nicht erwarten, dass er sich ihr gegenüber so gefällig zeigte. Denn bis jetzt hatte er sich bereit gezeigt, jede Scharade mitzuspielen, die sie auf die Bühne brachte. Aber wie lange durfte sie noch erwarten, dass er ihr Spiel spielte, wenn sie sich weigerte, ihm irgendeinen Hinweis an die Hand zu geben, der ihm zu verstehen half, warum dies notwendig war?
Andererseits, überlegte sie, hat er mit dieser Einladung ins Wespennest gestochen. Warum sollte sie sich das Spiel damit verderben, dass sie ihn für seine Einmischung belohnte?
Außer ... es war ein großes Außer, welches zu bedeuten hatte, dass seine Gegenwart für ihr Wohlbefinden unabdingbar geworden war. Während sie sich Schritt für Schritt den Weg durch das Labyrinth ihrer Tarnung
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