Sinnliche Versuchung in Italien
Jahrelang waren sie nicht mehr beschnitten worden. Sobald er schmerzfrei sein würde, wollte er das vom Großvater geerbte Land wieder in Schuss bringen. Zum Leben reichte es aber wohl nicht. Er brauchte deshalb den Weinberg und den Olivenhain, die sein Vater damals erhalten und bisher verpachtet hatte. Wenn Guilio sie ihm und nicht einem Fremden verkaufte, konnte er den Anfang wagen und später weitere Ländereien erwerben.
Wie gut, dass er seinem Vater schon bei ihrem letzten kurzen Treffen ein Angebot gemacht hatte. Obwohl dessen Reaktion darauf typisch gewesen war: „Wenn du schon Geld in Land investieren willst, Lucca, dann solltest du ein Baugrundstück in der Stadt in Betracht ziehen. Das wäre wenigstens eine gewinnbringende Anlage.“ Statt wie früher so häufig eine Diskussion anzufangen, hatte er die Angelegenheit auf sich beruhen lassen und seinen Vater nur darum gebeten, mit dem Verkauf noch bis zu seinem Jahresurlaub im August zu warten. Jetzt konnte er nur hoffen, dass Guilio seiner Bitte nachgekommen war.
Wie gut, dass niemand sah, wie er sich jetzt als Invalide nach Hause schleppte. Am nächsten Tag, wenn er ausgeschlafen und in passabler Verfassung, also schmerzfrei, war, würde er seinen Vater aufsuchen, um mit ihm über das Land zu sprechen. Er musste sich auf ein anstrengendes Gespräch gefasst machen und damit rechnen, dass Guilio ihm sein Vorhaben, von der Landwirtschaft zu leben, auszureden versuchte. Er hatte noch nie Verständnis für ihn gehabt.
Endlich, nach einer Ewigkeit, hatte er den Aufstieg geschafft und stand vor seinem Haus. Wie verlassen es wirkte! „Ungepflegt“, hätte seine Mutter gesagt. Überall befand sich Unkraut zwischen den Blumen, die bis an das Terrassengeländer wucherten. Es war kaum noch zu erkennen, was ihr Tränen in die Augen getrieben hätte. Und erst der Anblick ihres Sohnes. Wie ein Wrack kam er sich vor mit seinen dreiunddreißig Jahren. Um ihn stand es kaum besser als um den Hof. Doch er würde es schaffen, das zu ändern. Wenn ihm nur sein Vater die Zusage nicht verweigerte.
Noch ehe er die Eingangstür erreicht hatte, zog er den Schlüssel aus der Tasche. Er hatte ihn schon lange nicht mehr benutzt. In der Freizeit traf er seinen Vater meist nur für ein paar Stunden in Mailand oder Rom. Das war nun vorbei. Endlich war er wieder zu Hause.
Hier wollte er bleiben, um von dem Land und seiner Hände Arbeit zu leben.
Unerwartet ordentlich sah es in der Küche aus. Er bezahlte zwar eine Frau aus der Nachbarschaft, damit sie alle paar Wochen nach dem Rechten schaute und sauber machte. Jetzt schien es so, als wäre sie gerade erst hier gewesen, was er nicht zu hoffen gewagt hatte. Und endlich konnte er seinen Seesack abstellen. Auf dem Tisch am besten, dann brauchte er sich nicht zu bücken, wenn er ihn auspackte.
Von der Last befreit, hinkte er weiter in den Flur, ließ das Wohnzimmer links liegen und betrat den Raum, in dem er schon als Kind geschlafen hatte, solange seine Mutter noch lebte, und auch später, wenn er bei seinem Großvater übernachtete und nicht bei seinem Dad, der mit ihm fortgezogen war. Auch ohne Licht zu machen, merkte er, dass sich seitdem nichts verändert hatte. Alles stand nach wie vor da, wo es sich immer befunden hatte.
Ob er die Kraft fand, noch das Bett zu beziehen? Jetzt sehnte er sich vor allem nach frischer Luft und dem Zirpen der Zikaden. Deshalb öffnete er das Fenster und stieß die Läden auf. Mit dem Duft und den nächtlichen Geräuschen strömte auch das Mondlicht herein. So schön wie hier war es nirgends auf der Welt. Er konnte das durchaus beurteilen, weil er schon viel von ihr gesehen hatte.
Während er dastand und tief einatmete, wurde der Schmerz in seinem Bein noch stärker. Das lag bestimmt an seiner Erschöpfung. Ohne Tabletten würde er nicht einschlafen können.
Diavolo! Sie befanden sich im Seesack in der Küche. Ein weiter Weg für einen Mann in seinem Zustand. Ihm fiel die Krücke seines Großvaters ein. Bewahrte er sie nicht mit den anderen Erinnerungsstücken im Schrank auf? Gott sei Dank, da war sie tatsächlich. Hoffentlich würde er sie nicht bis ans Ende seiner Tage brauchen wie der alte Lorenzo.
Auf das kostbare Erbstück gestützt schleppte er sich zurück, holte die Pillen hervor und spülte zwei davon mit einem Glas Wasser hinunter. Es schmeckte köstlich und löschte den Durst.
Danach humpelte er mit seinem Waschzeug in der Hand ins Bad und putzte sich die Zähne. Auf dem Rückweg ins
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