Sinnliche Versuchung in Italien
verriet, würde sie Guilio die Überraschung verderben. Stimmte denn überhaupt, was der Mann behauptete? Sie drehte ihm den Kopf zu, um ihm ins Gesicht zu schauen.
Ja, eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den beiden war nicht zu leugnen, obwohl dieser Mann viel größer, schlanker und wahrscheinlich kräftiger war als Guilio. Sein pechschwarzes Haar passte allerdings gar nicht ins Bild. Entweder hatte er es von seiner Mutter geerbt, oder auch Guilio war früher so dunkel gewesen, ehe er ergraut war.
Als sie sich aus seinem Griff zu befreien versuchte, presste er sie noch fester an sich.
„Sie haben all meine Pläne durchkreuzt, Signorina. Ich wünschte, ich könnte Sie zum Teufel jagen.“
„Wie liebenswürdig von Ihnen!“, spottete sie. „Ich danke Ihnen jedenfalls. Sie haben mir eine wirklich ungewöhnliche Nacht beschert, die ich sonst wohl ganz langweilig verschlafen hätte. Jetzt lassen Sie mich aber bitte los, damit ich mir ein Taxi bestellen kann. In einer halben Stunde bin ich verschwunden.“
Nur wie sollte sie Guilio ihren plötzlichen Sinneswandel erklären? Sie musste sich eine wirklich gute Ausrede einfallen lassen, denn die Wahrheit konnte sie ihm nicht verraten.
„Wo wollen Sie denn um diese Zeit Ihre Wunden lecken?“, murmelte Lucca.
„Das geht Sie nichts an.“
„Ich fürchte doch. Und im Übrigen ist es nicht nötig, dass Sie sofort das Haus verlassen. Vorausgesetzt, Sie verhalten sich nicht länger wie eine Kratzbürste und geben mir das Versprechen, bis morgen Abend niemandem etwas von meiner Anwesenheit zu erzählen.“
Sie und eine Kratzbürste! Das war der dritte Schlag, den ihr der Mann in so kurzer Zeit versetzte.
„Sie verlangen ziemlich viel von einer Gefangenen“, stieß sie hervor und versuchte wieder, sich ihm zu entwinden. Vergeblich. Obwohl Lucca wahrscheinlich verletzt war, besaß er noch immer die Kraft eines durchtrainierten Mannes.
„Ich bin verzweifelt“, sagte er.
Sein Geständnis überraschte Annabelle nicht sehr. „So etwas habe ich mir schon fast gedacht. Warum wollen Sie Ihrem Vater verheimlichen, dass Sie zurück sind?“
„Zurück von wo?“
„Ihr Vater erwähnte, dass Sie Offizier sind.“ Sie schluckte. „Wenn Sie sich Sonderurlaub genommen haben, dann …“
„Darüber möchte ich mit Ihnen nicht sprechen.“
„Gut. Ich sehe jedoch, dass Sie Schmerzen haben und ins Bett gehören.“
„Ich befand mich auf dem Weg dorthin.“
Vorher hatte er bestimmt ein Schmerzmittel genommen. Wahrscheinlich begann es zu wirken, denn seine Stimme klang plötzlich schleppend.
„Ihr Bett ist nicht einmal bezogen. Ich überlasse Ihnen meins und schlafe stattdessen …“
„Ich nehme Ihr Angebot an, aber nur, wenn Sie sich dazulegen. Das Bett ist groß genug für uns beide, und ich möchte sichergehen, dass Sie nicht heimlich verschwinden.“
Das war ein Befehl, keine Bitte. Annabelle hatte jedoch nicht die Absicht, sich darauf einzulassen. „In Ordnung“, sagte sie trotzdem. „Wenn Sie so freundlich wären, mich jetzt loszulassen, könnte ich Ihnen beim Aufstehen helfen. Es ist nicht weit bis zu meinem Bett.“
Sobald sie wieder auf den Beinen war, reichte sie ihm einen Arm. Er benutzte ihn und die Wand als Stütze, während er sich mühsam aufrichtete. Dabei biss er die Zähne zusammen, um nicht vor Schmerz zu schreien.
Als er endlich stand, verlagerte er das ganze Gewicht auf Annabelles Schulter. Es kostete Annabelle alle Kraft, darunter nicht zusammenzubrechen, sondern ihn Schritt für Schritt den Flur hinunter in ihr Zimmer zu führen. Dort ließ er sich einfach auf das Bett fallen und riss Annabelle, deren Taille er noch schnell umfasst hatte, mit.
Sie landete auf dem Rücken, er auf der Seite. Mit einem Laut der Erleichterung streckte er sich dann aus.
Während sie ihm aufgeholfen hatte, hatte er mit seinem rauen Kinn ihre Wange berührt und Annabelle daran erinnert, wie gefährlich männlich Lucca trotz seiner Verletzung war. Die Bartstoppeln verrieten ihr auch, dass er sich lange nicht mehr rasiert hatte. Er musste also eine weite Reise hinter sich haben und unendlich erschöpft sein. Das Schmerzmittel würde bestimmt bald Wirkung zeigen und ihn einschlafen lassen. Dann konnte sie sich in das andere Zimmer schleichen und dort endlich zur Ruhe kommen, falls ihr nicht selbst gleich die Augen zufielen.
Doch zu ihrem Erstaunen blieb sie hellwach. So eng umschlungen mit einem Mann hatte sie schon lange nicht mehr auf einer Matratze gelegen.
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