Sinuhe der Ägypter
Haar gestreut und mit den Nägeln das Gesicht blutig gekratzt.
»Wo habt ihr euch so lange aufgehalten, ihr Banditen, ihr Aaskerle, ihr Schnecken?« brüllte er und raufte sich den gekräuselten Bart, so daß die Goldbänder, mit denen dieser durchflochten war, wie Blitze durch die Luft zuckten. Er hieb mit den Fäusten auf die mich stützenden Wagenlenker und heulte wie ein Raubtier: »Wo habt ihr herumgetrödelt, ihr Gesindel von Dienern? Wißt ihr nicht, daß mein Sohn im Sterben liegt?«
Die Lenker aber verteidigten sich und sagten: »Wir haben viele Pferde zuschanden gefahren und sind schneller als Vögel über die Berge geeilt. Das größte Verdienst gebührt dabei dem Arzt, den wir geholt; denn er brannte darauf, deinen Sohn zu heilen, und ermunterte uns mit Zurufen, sobald wir ermüdeten, und schlug uns mit den Fäusten auf den Rücken, wenn unsere Schnelligkeit nachließ. Nie hätten wir das von einem Ägypter erwartet, und nie ist der Weg von Simyra hierher in so kurzer Zeit bezwungen worden. Davon sind wir überzeugt!«
Da umarmte mich Aziru heftig, weinte und sprach: »Heile meinen Sohn, Sinuhe, heile ihn, und alles, was mir gehört, soll auch dir gehören!« Ich aber sagte: »Laß mich erst deinen Sohn sehen, damit ich erkenne, ob ich ihn zu heilen vermag!«
Er führte mich rasch in einen großen Raum, in dem ein Feuerbecken Hitze ausströmte, obgleich es Sommer war, weshalb es zum Ersticken heiß im Saal war. Mitten drin stand eine Wiege, in der ein kleines, kaum einjähriges, in Wolltücher gewickeltes Kind aus Leibeskräften schrie. Vor lauter Gebrüll war das Gesicht des Kindes blauschwarz geworden und mit Schweißtropfen bedeckt. Obwohl es noch winzig klein war, hatte es bereits das dichte schwarze Haar seines Vaters. Ich betrachtete das Knäblein und fand keine Anzeichen, daß es in Lebensgefahr schwebte; denn hätte es im Sterben gelegen, so hätte es gewiß nicht mit solcher Wut zu brüllen vermocht. Ich blickte um mich und sah Keftiu, das Weib, das ich einst Aziru geschenkt, am Boden neben der Wiege liegen: sie war beleibter und weißer als je, und ihre gewaltigen Fleischmassen schaukelten hin und her, als sie in ihrem Kummer jammernd und schreiend die Stirn gegen den Boden schlug. In allen Ecken des Zimmers heulten Sklavinnen und Ammen, welche Beulen und blaue Flecken im Gesicht trugen; denn Aziru hatte sie geprügelt, weil sie seinem Sohn nicht helfen konnten.
»Sei guten Mutes, Aziru!« sprach ich. »Dein Sohn stirbt nicht. Ich will mich erst reinigen, bevor ich ihn untersuche. Laß dieses verfluchte Feuerbecken fortschaffen! Man erstickt ja vor Hitze!«
Da hob Keftiu rasch das Gesicht vom Boden und meinte erschrocken: »Das Kind könnte sich erkälten!« Dann betrachtete sie mich eingehend, lächelte, setzte sich auf, brachte Kleider und Haare in Ordnung und lächelte von neuem, indem sie fragte: »Bist du’s, Sinuhe?«
Aziru aber rief händeringend: »Der Junge ißt nichts, sondern erbricht sofort alles; sein Körper ist heiß, und seit drei Tagen hat er kaum etwas zu sich genommen, sondern nur so geweint, daß mir das Herz ob seinem Jammer bricht.«
Ich hieß ihn die Sklavinnen und Ammen hinausschicken, und er gehorchte mir demütig, ohne an seine königliche Würde zu denken. Nachdem ich mich gereinigt, zog ich dem Kind die wollenen Hüllen ab und ließ die Fenster öffnen, um den Raum zu lüften. Sobald die kühle Abendluft hereinströmte, beruhigte sich das Kind, begann mit seinen dicken Gliedern zu strampeln und weinte nicht mehr. Ich befühlte seinen Körper und Magen, bis mir ein Licht aufging und ich ihm den Finger in den Mund steckte. Und siehe da, ich hatte richtig geraten: seinem Kiefer war der erste Zahn wie eine weiße Perle entsprungen.
Da sagte ich ärgerlich: »Aziru! Aziru! Deswegen also hast du mit wilden Rossen den geschicktesten Arzt Syriens hierherführen lassen! Ohne zu prahlen, kann ich sagen, daß ich auf meinen Reisen in vielen Ländern mancherlei gelernt habe. Deinem Jungen fehlt nichts, er ist nur ebenso unbändig und reizbar wie sein Vater; vielleicht hat er ein wenig Fieber gehabt, aber jetzt ist es vorbei. Wenn er erbrochen hat, tat er es aus weisem Selbsterhaltungstrieb, da ihr ihn mit viel zuviel fetter Milch gemästet habt. Es ist höchste Zeit, daß Keftiu mit dem Säugen aufhört und ihn an richtige Nahrung gewöhnt; sonst beißt er seiner Mutter bald noch die Brustwarzen ab, was dich, wie ich glaube, tief betrüben würde, da du dich sicherlich
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