Sinuhe der Ägypter
Ägypter aber seid wie Heuschrecken über uns gekommen, und euer Pharao zwingt uns einen neuen Gott auf, wodurch wir die Gunst unserer eigenen Götter verlieren.«
Ich verspürte keine Lust, mit ihnen zu streiten, meinte aber: »Gegen wen wollt ihr Mauern und Türme bauen, wenn nicht gegen Ägypten? Es mag wohl stimmen, daß eure Stadt zur Zeit eurer Urgroßväter innerhalb ihrer Mauern frei war, aber ihr mußtet in unzähligen Kriegen gegen eure noch verhaßten Nachbarn Blut vergießen und verarmen, und eure Fürsten herrschten mit Willkür, so daß weder Reiche noch Arme vor ihnen sicher waren. Jetzt aber schützen euch Ägyptens Schilde und Speere gegen eure Feinde, und die Gesetze Ägyptens wahren das Recht der Reichen wie der Armen.«
Sie aber ereiferten sich, ihre Augen wurden rot, ihre Nasen begannen zu zittern, und sie sprachen: »Alle ägyptischen Gesetze sind nichts als Dreck, und die Götter Ägyptens sind uns ein Greuel. Wenn sich unsere Fürsten auch der Willkür und Ungerechtigkeit schuldig gemacht haben – was wir allerdings nicht glauben, weil es eine von den Ägyptern erfundene Lüge ist, um uns die Erinnerung an die Freiheit auszutreiben –, so waren sie doch unsere eigenen Fürsten! Unser Herz sagt uns, daß Ungerechtigkeit in einem freien Land immer noch besser als Gerechtigkeit in einem versklavten ist.«
Ich entgegnete ihnen: »Ich kann an euch keine Anzeichen von Versklavung finden. Im Gegenteil: ihr werdet immer dicker und prahlt selbst damit, daß ihr euch an der Dummheit der Ägypter bereichert. Wäret ihr frei, so würdet ihr euch gegenseitig die Schiffe ausplündern und die Obstbäume abhauen und wäret eures Lebens auf Reisen im Landesinnern nicht mehr sicher.«
Sie aber hörten nicht auf mich, warfen ihre Gaben vor mich hin und gingen ihres Weges mit den Worten: »In deinem Herzen bleibst du ein Ägypter, obwohl du syrische Kleidung trägst. Jeder Ägypter ist ein Unterdrücker und ungerechter Mensch, und der einzige gute Ägypter ist ein toter Ägypter.«
All das trug dazu bei, daß ich mich in Simyra nicht länger heimisch fühlte, sondern meine Guthaben einzuziehen und mich für die Abreise vorzubereiten begann; denn, wie versprochen, sollte ich mit Haremhab zusammentreffen und ihm berichten, was ich in den verschiedenen Ländern gesehen. Zu diesem Zweck mußte ich mich nach Ägypten begeben. Ich beschleunigte die Abreise jedoch keineswegs; denn beim Gedanken daran, daß ich wieder vom Wasser des Nils trinken würde, befiel mich ein seltsames Zittern. Deshalb ließ ich der Zeit ihren Lauf, und vorübergehend beruhigte sich auch die Stimmung in der Stadt; denn eines Morgens fand man im Hafenbecken einen ägyptischen Soldaten mit durchschnittener Kehle, und hierüber zutiefst erschrocken, schlossen sich die Menschen in ihre Häuser ein, während der Friede in der Stadt wiederhergestellt wurde. Die Beamten der Kolonie aber vermochten den Mörder nicht ausfindig zu machen, und es geschah nichts weiter, weshalb die Städter ihre Türen wiederum öffneten, in ihren Reden noch frecher wurden und den Ägyptern auf der Straße nicht mehr Platz machten, so daß diese, die sich nicht unbewaffnet außer Haus wagen konnten, ihnen ausweichen mußten.
Eines Abends – es war bei meiner Rückkehr aus dem Tempel der Ischtar, den ich zuweilen aufsuchte, wie ein Dürstender Wasser trinkt, ohne sich um den Brunnen, aus dem es stammt, zu kümmern – traten einige Männer auf mich zu und sprachen untereinander: »Ist dies nicht ein Ägypter? Müssen wir es wirklich dulden, daß dieser Beschnittene mit unseren Jungfrauen schläft und unseren Tempel schändet?«
Ich sagte zu ihnen: »Eure Jungfrauen, die man übrigens besser mit einem anderen Wort bezeichnen würde, fragen nicht nach dem Äußern oder der Landeszugehörigkeit eines Mannes, sondern wägen ihre Freude nach dem Gold, das ihr Besucher in seiner Börse trägt. Ich will sie deshalb keineswegs tadeln, da ich mich selbst mit ihnen zu ergötzen pflege und es auch in Zukunft tun werde, wenn es mir beliebt.«
Da zogen sie die Mäntel vors Gesicht, warfen sich über mich, schmetterten mich zu Boden und schlugen meinen Kopf gegen eine Mauer, bis ich glaubte, sterben zu müssen. Aber als sie mich zu berauben und mir die Kleider abzureißen begannen, um meinen Leib in den Hafen zu werfen, sah einer von ihnen mein Gesicht und fragte: »Ist dies nicht Sinuhe, der ägyptische Arzt und Freund des Königs Aziru?« Ich bestätigte, Sinuhe zu sein, und
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