Sinuhe der Ägypter
in Dinge ein, die eigentlich dem Pharao und der Steuerbehörde zuständen. Wohl wurde die Priesterweihe von den Schülern des Handels und der Rechte nicht ausdrücklich verlangt; doch da Ammon mindestens ein Fünftel des Landes Ägypten und somit auch dessen Handel beherrschte, tat ein jeder, der ein Großkaufmann werden oder in die Verwaltung eintreten wollte, gut daran, auch das Priesterexamen des untersten Grades abzulegen, um sich damit Ammon als gehorsamer Diener zu unterstellen.
Die weitaus größte Fakultät war natürlich die juristische, denn sie sicherte den Studierenden die Zuständigkeit für jedes Amt und die Berechtigung, später im Steuerwesen und in der Verwaltung tätig zu sein oder die militärische Laufbahn zu beschreiten. Die kleine Schar der Astronomen und Mathematiker lebte ihr eigenes weltfremdes Leben in ihren Hörsälen und hegte eine tiefe Verachtung für die Emporkömmlinge, die in die Vorlesungen über Handelsrechnungen und Vermessungskunst eilten. Ein ganz abgesondertes Leben innerhalb der Tempelmauern aber wurde im Haus des Lebens und im Haus des Todes geführt. Diesen Schülern brachten alle anderen Zöglinge des Tempels eine mit Schrecken vermischte Ehrfurcht entgegen.
Doch ehe ich meinen Fuß in das Haus des Lebens setzen durfte, hatte im erst an der theologischen Fakultät eine Prüfung für den untersten Priestergrad abzulegen. Es dauerte mehr als zwei Jahre, bis im so weit war, denn ich mußte gleichzeitig meinen Vater auf seinen Krankenbesuchen begleiten, um aus seiner Erfahrung Lehren für meine künftige Lebensbahn zu ziehen. Ich wohnte zu Hause und lebte wie zuvor, mußte aber täglich irgendeine Vorlesung besuchen.
Diejenigen, die die Prüfung für den untersten Priestergrad ablegen mußten, waren je nach den Studien, denen sie sich später widmen wollten, in Gruppen eingeteilt. Wir, die künftigen Zöglinge im Haus des Lebens, bildeten eine eigene Gruppe, doch fand ich keinen einzigen intimen Freund unter meinen Kameraden. Ich hatte Ptahors klugen Rat in frischem Gedächtnis, lebte zurückgezogen, gehorchte untertänig jedem Befehl und stellte mich einfältig, wenn andere Witze machten oder nam Knabenart die Götter schmähten. Unter uns gab es Söhne vornehmer Spezialisten, deren Krankenbesuche, Ratschläge und Pflege mit Gold bezahlt wurden. Es gab auch Söhne einfacher Provinzärzte, oft älter als wir, bereits erwachsene, plumpe, braungebrannte Jünglinge, die ihre Schüchternheit zu verbergen und sich die Aufgaben gewissenhaft einzuprägen trachteten. Es gab auch Knaben aus dem Proletariat, die einen angeborenen Wissensdurst besaßen und sich über die Berufe und den Stand ihrer Väter emporarbeiten wollten. Diese aber waren der strengsten Behandlung und den größten Anforderungen unterworfen, denn die Priester hegten ein natürliches Mißtrauen gegen alle, die sich nicht mit ihrem Los zufrieden gaben.
Meine Vorsicht war mir nützlich, denn bald genug entdeckte ich, daß die Priester Spione und Gehilfen unter uns hatten. Ein unvorsichtiges Wort, ein offen ausgesprochener Zweifel oder ein Scherz im Kreise der Kameraden gelangte den Priestern rasch zur Kenntnis, und der Schuldige wurde zum Verhör geladen und bestraft. Es kam vor, daß Jünglinge sich der Prügelstrafe unterziehen mußten oder gar aus dem Tempel verjagt wurden, worauf ihnen das Haus des Lebens wohl in Theben wie an anderen Orten Ägyptens für alle Zeiten verschlossen blieb. Wenn sie energisch waren, konnten sie als Handlanger der Garnisonsfeldschere in die Kolonien ziehen oder sich im Lande Kusch oder in Syrien eine Zukunft schaffen, denn der Ruf der ägyptischen Ärzte war über die ganze Welt verbreitet. Die meisten aber strandeten und endeten als unbedeutende Schreiber, falls sie die Schreibkunst genügend beherrschten.
Meine Fertigkeit im Schreiben und Lesen gab mir einen guten Vorsprung vor manchen Kameraden, sogar vor den älteren. Ich selbst hielt mich für reif zum Eintritt in das Haus des Lebens, aber der Tag meiner Weihe ließ auf sich warten, und ich besaß nicht den Mut, nach dem Grund der Verzögerung zu fragen, weil das als Aufsässigkeit gegen Ammon ausgelegt worden wäre. Ich vergeudete meine Zeit mit dem Abschreiben von Todesbüchern, die in den Vorhallen des Tempels verkauft wurden, und empörte mich im stillen und fühlte mich niedergeschlagen. Bereits hatten viele meiner weniger begabten Kameraden ihre Studien im Haus des Lebens aufnehmen dürfen. Doch vielleicht erhielt ich
Weitere Kostenlose Bücher