Sinuhe der Ägypter
Angelegenheiten deines Herrn und trägst die Fackel vor ihm her? Wo ist meine Sänfte? Wo mein sauberes Gewand? Und wo sind meine Arzneibeeren? Geh mir aus den Augen, erbärmliches Diebesschwein!«
»Ich bin ein Dieb und meines Herrn Schwein«, sagte der Diener unterwürfig. »Was befiehlst du, Herr?«
Ptahor erteilte ihm seine Befehle, und er ging die Sänfte suchen. Ptahor setzte sich unter der Sykomore bequem zurecht, lehnte sich an ihren Stamm, trug ein Gedicht über den Morgen, über Lotusblumen und über eine im Strom badende Königin vor und erzählte uns allerhand Dinge, die Knaben gerne hören. Auch Kipa erwachte, machte Feuer und ging zu meinem Vater ins Schlafzimmer hinüber. Wir hörten ihre Stimme bis auf den Hof hinaus, und als mein Vater schließlich in einem reinen Gewand erschien, war er sehr niedergeschlagen.
»Du hast einen schönen Sohn«, sagte Ptahor. »Seine Haltung ist die eines Prinzen, und seine Augen sind sanft wie Gazellenaugen.« Obgleich ich nur ein Knabe war, verstand ich doch gut, daß wir bei diesen Worten sein gestriges Benehmen vergessen sollten. Nach einer Weile fragte er: »Was kann dein Sohn? Sind die Augen seiner Seele ebenso offen wie die Augen seines Leibes?«
Da holte ich meine Schreibtafel, und Thotmes tat das gleiche. Der königliche Schädelbohrer blickte zerstreut sinnend zum Wipfel der Sykomore auf und diktierte mir ein kleines Gedicht, an das ich mich heute noch erinnere. Es lautete:
Freu dich, Jüngling, deiner Jugend,
voller Asche ist des Alters Kehle,
und die balsamierte Leiche lacht
nicht in des Grabes Dunkel.
Ich tat mein Bestes und schrieb es erst in gewöhnlicher Schrift nieder. Alsdann zeichnete ich es in Bildern, und schließlich schrieb ich die Wörter Alter, Asche, Leiche und Grab in jeder Schreibweise, in der man diese Wörter, sei es in Silben oder Buchstaben, wiedergeben kann. Darauf zeigte ich ihm meine Schreibtafel, und er fand keinen einzigen Fehler. Ich wußte, daß mein Vater stolz auf mich war.
»Und der andere Jüngling?« fragte Ptahor und streckte die Hand nach Thotmes’ Tafel aus. Thotmes hatte abseits gesessen und Bilder auf seine Tafel gezeichnet. Er zögerte, die Tafel vorzuweisen, aber seine Augen lachten. Als wir uns vorbeugten, um zu sehen, bemerkten wir, daß er Ptahor gezeichnet hatte, wie er seinen Kragen um meines Vaters Hals legte und wie er den Bierkrug über sich ausschüttete. Auf einem dritten Bild hielten er und mein Vater sich umschlungen und sangen, und das Bild war so lustig, daß man geradezu sehen konnte, welches Lied sie sangen. Ich fühlte mich zum Lachen gereizt, aber getraute mich nicht, weil ich fürchtete, Ptahor zu erzürnen. Thotmes hatte ihm nämlich nicht geschmeichelt. Auf dem Bild war er ebenso klein und kahlköpfig, ebenso krummbeinig und hängebäuchig wie in Wirklichkeit.
Eine lange Weile sagte Ptahor nichts, betrachtete bloß mit scharfen Blicken abwechselnd das Bild und Thotmes. Thotmes verspürte Angst und hob sich auf die Zehenspitzen. Schließlich fragte Ptahor:
»Wieviel verlangst du für das Bild, Junge? Ich kaufe es.«
Thotmes aber wurde feuerrot und sagte: »Meine Schreibtafel verkaufe ich nicht. Einem Freund aber würde ich sie als Geschenk geben.«
Ptahor lachte: »Schön, laß uns also Freunde sein, und die Tafel gehört mir.« Noch einmal betrachtete er sie genau, lachte und schlug sie dann an einem Stein in Scherben. Wir zuckten alle zusammen, und Thotmes bat demütig um Verzeihung, falls er ihn beleidigt habe.
»Sollte ich dem Wasser zürnen, in dem ich mein Bild erblicke?« fragte Ptahor sanft. »Doch das Auge und die Hand des Zeichners sind dem Wasser überlegen. Deshalb weiß ich nun, wie ich gestern aussah, und ich wünsche nicht, daß jemand es zu sehen bekommt. Darum habe ich die Tafel zerschlagen, aber als Künstler anerkenne ich dich.« Thotmes machte einen Freudensprung.
Hierauf wandte sich Ptahor an meinen Vater, und indem er auf mich zeigte, sprach er feierlich das uralte Heilgelübde des Arztes aus: »Ich werde mich seiner Heilung annehmen.« Und auf Thotmes zeigend, sprach er: »Ich werde mein möglichstes tun.« Nachdem sie so wieder auf die ärztliche Berufssprache gekommen waren, lachten beide zufrieden. Mein Vater legte seine Hand auf mein Haupt und fragte:
»Mein Sohn Sinuhe, willst du ein Arzt wie ich werden?«
Die Tränen traten mir in die Augen, meine Kehle schnürte sich zusammen, so daß ich kein Wort hervorbrachte, sondern nur zustimmend nicken konnte.
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