Sinuhe der Ägypter
bekäme. Erst wenn das Opfer gelähmt vor ihr liegt, frißt sie es auf und geht wieder nach einem neuen auf die Jagd. Das alles erzähle ich dir, um ehrlich gegen dich zu sein, denn ich will dir nichts Böses antun.«
»Nein, ich will dir gewiß nichts Böses antun«, wiederholte sie, griff zerstreut nach meiner Hand und legte sie auf ihre Brust, und meine andere Hand legte sie auf ihren Schoß, so daß ich zu zittern begann und mir Tränen aus den Augen brachen. Doch gleich darauf stieß sie meine Hand wieder ungeduldig von sich und sagte: »Mein Name ist Tabubue, und da du es nun weißt, solltest du von mir gehen und nie mehr wiederkehren, damit ich dir nicht schade. Gehst du aber nicht, so kannst du mich wenigstens nicht beschuldigen, falls dir etwas geschieht.«
Sie ließ mir Zeit zum Gehen, aber ich ging nicht. Da seufzte sie leise, als wäre sie des Spiels überdrüssig, und sagte: »So sei es denn. Ich muß dir wohl gewähren, was du von mir erwartest. Doch sei nicht zu ungestüm, denn ich bin müde und fürchte, auf deinen Armen einzuschlafen.«
Sie führte mich in ihr Zimmer. Ihr Lager war aus Elfenbein und Ebenholz, und sie entkleidete sich und bot sich mir dar. Ich hatte das Gefühl, als würden in ihrer Umarmung mein Leben, mein Herz, mein ganzes Inneres zu Asche verbrannt. Doch alsbald gähnte sie und sagte: »Ich bin wirklich schläfrig, und ich glaube dir, daß du noch nie zuvor ein Weib berührt hast, denn du benimmst dich äußerst unbeholfen und schenkst mir keinerlei Gefühl der Wollust. Doch wenn ein Jüngling zum erstenmal zu einem Weibe geht, macht er ihr ein unschätzbares Geschenk. Deshalb will ich dich um keine andere Gabe bitten. Jetzt aber geh und laß mich schlafen, denn du hast ja das erhalten, was du bei mir suchtest.« Und wie ich sie von neuem umarmen wollte, wehrte sie sich und schickte mich fort. So ging ich nach Hause, aber mein Leib brannte, als sei er in Feuer getaucht, und mein ganzes Innere war in Aufruhr, und ich wußte, daß ich sie nie mehr vergessen könnte.
6
Am folgenden Tag ließ ich meinen Diener Kaptah alle Patienten, die mich konsultieren kamen, abweisen; der riet ihnen barsch, andere Ärzte aufzusuchen. Ich ging zum Barbier, und alsdann wusch ich meinen Körper, salbte ihn mit wohlriechendem Öl und zog mich an; hierauf bestellte ich eine Sänfte und befahl den Trägern, rasch zu laufen, denn ich wollte zu Nefernefernefer eilen und meine Kleider und Füße nicht mit Straßenstaub besudeln. Mein einäugiger Diener Kaptah blickte mir besorgt und kopfschüttelnd nach, denn ich hatte noch nie zuvor mein Arbeitszimmer bei Tag verlassen, und er befürchtete, daß die Geschenke versiegen könnten, falls ich meine Patienten versäumte. Ich aber hatte nur einen einzigen Gedanken im Kopf, und mein Leib brannte, als sei er mit Feuer übergossen.
Ein Diener ließ mich eintreten und führte mich in Nefernefernefers Zimmer. Sie war damit beschäftigt, sich vor dem Spiegel schön zu machen, und betrachtete mich mit Augen, die hart und gleichgültig wie grüne Steine waren.
»Was wünschest du, Sinuhe?« fragte sie. »Du langweilst mich.«
»Du weißt schon, was ich wünsche«, sagte ich, und, im Gedanken daran, wie liebevoll sie in der Nacht gewesen war, versuchte ich sie zu umarmen. Sie aber wies mich ohne Umstände ab.
»Bist du einfältig oder böswillig, daß du mich derart störst?« fragte sie gereizt. »Siehst du nicht, daß ich dabei bin, mich schön zu machen? Aus Sidon ist ein Kaufmann eingetroffen und hat den in einem Grab gefundenen Stirnschmuck einer Königin nach Theben mitgebracht. Heute abend soll ihn mir jemand schenken, denn ich sehne mich schon längst nach einem Schmuck, den niemand sonst besitzt. Deshalb will ich mich schön machen und meinen Leib salben lassen.« Ohne Scham entkleidete sie sich und legte sich aufs Bett, um ihre Glieder durch eine Sklavin salben zu lassen. Meine Kehle schnürte sich zu, und meine Hände wurden feucht von Schweiß, als ich ihre Schönheit sah.
»Worauf wartest du, Sinuhe?« fragte sie, nachdem die Sklavin sich entfernt hatte, und blieb ruhig auf dem Bett liegen. »Warum bist du noch da? Ich muß mich jetzt ankleiden.«
Da stürzte ich mich, von meiner Leidenschaft überwältigt, auf sie, aber sie wehrte sich so geschickt, daß ich nichts bei ihr erreichte und daher in ohnmächtigem Verlangen in Tränen ausbrach. Schließlich sagte ich: »Wenn ich die Mittel besäße, würde ich dir den Stirnschmuck kaufen, das weißt
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