Sinuhe der Ägypter
sein als der meine.«
Da verneigte er sich bis zum Boden vor mir und hob in tiefer Trauer die Hände über dem Kopf, weinte bitterlich und sagte: »Schicke mich nicht fort von dir, mein Herr, denn mein altes Herz hat sich dir zugewandt und bricht vor Kummer, wenn du mich fortschickst. Ich bin dir immer treu gewesen, obgleich du sehr jung und einfach bist, und wenn ich dir etwas gestohlen habe, tat ich es erst nach genauer Prüfung deines Vorteils und nach scharfer Überlegung, wieviel sich dir zu stehlen lohnte. Auf meinen alten Beinen bin ich in der Mittagshitze durch die Straßen gelaufen und habe deinen Namen laut ausgerufen und deine Heilkunst angepriesen, obwohl die Diener anderer Ärzte mich mit Stöcken schlugen und mit Mist bewarfen.«
Mein Herz war voller Salz, und ich hatte einen bitteren Geschmack im Mund, als ich ihn betrachtete. Trotzdem war ich gerührt und legte meine Hand auf seine Schulter und sagte: »Steh auf, Kaptah!« Im Kaufbrief trug er nämlich den Namen Kaptah, aber ich nannte ihn niemals bei seinem Namen, damit sein Selbstgefühl nicht wachse und er sich nicht etwa einbilde, meinesgleichen zu sein. Wenn ich ihn brauchte, pflegte ich ihn daher bloß »Sklave«, »Dummkopf«, »Taugenichts« oder »Dieb« zu rufen.
Als er seinen Namen aus meinem Mund vernahm, weinte er noch bitterlicher und berührte meine Hände und Füße mit der Stirn und stellte meinen Fuß auf seinen Kopf, so daß ich zornig wurde und ihm mit einem Fußtritt aufzustehen befahl. »Jetzt hilft kein Klagen mehr«, sagte ich. »Aber du sollst wissen, daß ich dich nicht aus Unmut einem anderen überlassen habe, denn ich bin mit dir zufrieden gewesen, obgleich du deiner schlechten Laune oft in unverschämter Weise Luft gemacht hast, indem du die Türen zuschlugst und mit den Gefäßen lärmtest, sobald dir etwas nicht behagte. Und auch daß du mich bestahlst, zürne ich dir nicht, denn das ist das Recht des Sklaven. So ist es und wird es stets bleiben. Aber ich war gezwungen, dich gegen meinen Willen einem anderen zu überlassen, weil ich sonst nichts besaß. Auch auf mein Haus und all mein Hab und Gut habe ich Verzicht leisten müssen, so daß nicht einmal die Kleider auf meinem Leib mir gehören. Deshalb nützt dein Klagen nichts.«
Da erhob sich Kaptah und raufte sich das Haar und sagte: »Das ist ein böser Tag.« Er grübelte angestrengt und sagte dann: »Du bist ein großer Arzt, Sinuhe, obgleich du jung bist, und die ganze Welt steht dir offen. Deshalb wird es am besten sein, wenn ich rasch die wertvollsten Sachen zusammenpacke und wir in der Finsternis der Nacht entfliehen und uns auf einem Boot verstecken, das flußabwärts segelt und dessen Kapitän keine kleinlichen Bedenken hat. In den beiden Reichen gibt es viele Städte, und sollten die Schergen dich ausfindig machen oder mich nach der Liste der entwichenen Sklaven erkennen, dann können wir in die roten Länder ziehen, wo dich niemand kennt. Auch auf die Meeresinseln können wir uns begeben, wo der Wein frisch und die Frauen fröhlich sind. Auch im Lande Mitani und in Babylon, wo die Ströme in falscher Richtung fließen, wird die Heilkunst Ägyptens sehr geschätzt, so daß du reich werden und aus mir den Diener eines geachteten Herrn machen kannst. Beeile dich daher, o Herr, damit wir vor Einbruch der Dunkelheit deine Besitztümer zusammentragen!« Er zupfte mich am Ärmel.
»Kaptah, Kaptah!« sagte ich. »Störe mich nicht mit eitlem Gerede, denn mein Herz ist zu Tode betrübt; und mein Leib gehört mir nicht mehr. Ich trage Fesseln stärker als Kupferketten, obgleich sie nicht sichtbar sind. Deshalb kann ich nicht fliehen, denn jeder Augenblick, den ich fern von Theben verbringen müßte, würde für mich die Hölle in einem brennenden Ofen bedeuten.«
Mein Diener setzte sich auf den Boden, denn seine Füße waren voll schmerzender Knoten, die ich zuweilen, wenn ich Zeit hatte, pflegte. Er meinte: »Offenbar hat Ammon uns verstoßen, was mich nicht wundert, da du ihm so selten ein Opfer darbringst. Ich hingegen habe ihm getreulich ein Fünftel von dem geopfert, was ich dir gestohlen habe, zum Dank dafür, daß ich einen jungen schlichten Herrn erhielt. Trotzdem aber hat er mich verstoßen. Wohlan! Es bleibt uns also nichts anderes übrig, als unseren Gott zu wechseln und rasch einem anderen, der vielleicht das Böse von uns abwendet und alles zum Guten wandelt, ein Opfer darzubringen.«
»Schwatze keinen Unsinn«, sagte ich und bereute es bereits, ihn
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