Sinuhe, Sohn der Sykomore 1
Daran war nur Pharao schuld! Und sein dummer Vater, der hatte ihn in diesen Schlamassel geritten. Von wegen, sie ist betäubt. Hätte er der kleinen Furie nicht selbst das Glas an die Lippen setzen können? Sich überzeugen, dass sie schlief? Aber nein – diese Tölpel! Nun musste er wenigstens dafür sorgen, dass sie ungeschoren davonkamen. Er zog seinen Vater zur Tür und streckte den Kopf hinaus auf den Gang, lauschend. Alles ruhig, wenigstens das.
Unbehelligt erreichten sie das Tor. Die schweren Flügel schlossen sich genauso geräuschlos, wie sie den Entführern den Weg ins Innere geöffnet hatten. Grimmig dachte Pepi, dass sein Vater zumindest diesen Teil der Vorbereitung nicht schlampig ausgeführt hatte.
Aufatmend lehnte sich Meketre an die Wand. Seine Zähne klapperten im Schock. Als sein Sohn ihn an der Schulter fasste, fuhr er zurück. Der Junge war ein Ungeheuer, das erkannte er jetzt. Immerhin, ein nützliches Ungeheuer, für das noch Verwendung bestand. Meketre hatte nicht das Herz eines Mörders. Ihm war alles so einfach erschienen, als sie die Verschwörung geplant hatten. In der Realität sah es andres aus, wenn tatsächlich Menschen starben. In dieser Nacht hätte niemand zu Schaden kommen sollen! Und nun beschwerte das Blut dreier Menschen sein Herz. Eines davon war das Kind. Er wollte sich gar nicht ausmalen, wie Ptahhotep darauf reagieren würde. Noch in dieser Nacht hätten sie die Prinzessin auf das wartende Boot verfrachten und nach Men-Nefer bringen sollen.
Pepi schüttelte seinen Vater energisch. »Los jetzt, wir dürfen nicht entdeckt werden!« Er bückte sich nach dem Stein, an dessen scharfen Kanten das getrocknete Blut von Heruwer schwach glänzte. Den drückte er seinem widerstrebenden Vater in die Hand. »Du musst mich damit niederschlagen.«
Meketre wich zurück. »Nein. Ich kann nicht.«
»Du musst! Sonst können wir uns gleich auf den Weg zu den Steinbrüchen machen. Willst du das?«
Zögernd schlug Meketre seinem Sohn den Stein an den Kopf.
»Au! Du musst mich schon bewusstlos schlagen! Schlag fester! Oder soll ich das auch selber machen?«
Noch zweimal schlug Meketre zu, dann endlich sank Pepi zu Boden. Reglos starrte Meketre auf seinen Sohn herab. Jetzt sah er ganz friedlich aus. Noch ein Schlag, und er wäre es auch tatsächlich. Der Stein entglitt seiner Hand, und entsetzt wandte er sich ab. Seine Füße trugen ihn fort, nur fort.
Stoßweise keuchend fand der Beamte sich schließlich vor dem Haus des Amunnacht wieder, das in völligem Dunkel lag.
In völligem Dunkel?
Nein, ein schwacher Lichtschein stahl sich durch die Fensteröffnungen eines Raumes. Also war der Schatzmeister noch wach. So ein Glück! Seine kopflose Flucht hatte ihn genau an den Ort geführt, an dem Hilfe am wahrscheinlichsten war. Er schlich einen kiesbestreuten Weg entlang, bis er die Nebentür erreicht hatte, die den Bewohnern tagsüber Zugang zum Garten gewährte. Zaghaft kratzte er am Holz, bis er die Stimme Amunnachts von innen hörte: »Wer da?«
»Ich bin’s, Meketre. Lass mich ein, schnell!«
Knarrend schwangen die Flügel auf, und der Schatzmeister zerrte seinen Mitverschwörer ins Innere des Hauses. Während Meketre sich den Staub vom Schurz klopfte, musterte ihn Amunnacht alarmiert. »Da ist Blut an deinem Schurz. Bist du verletzt? Was ist geschehen, rasch, erzähl! Ist die Prinzessin unser?«
»Die Prinzessin ist Niemandes mehr«, gestand Meketre mit klopfendem Herzen.
»Wie meinst du das?« Amunnacht stand nun direkt vor ihm. »Wie meinst du das, verdammte Kreaturen der Unterwelt?«, wiederholte er und schüttelte sein Gegenüber.
Meketre kratzte allen Mut zusammen und berichtete.
Amunnacht stieß vernehmlich den Atem aus.
»So ein verdammter Mist! Wie konnte das passieren? Woher konnte Amenemhet wissen, dass wir …?«
»Ich glaube, mein neuer Schreiber hat uns verraten.«
»Eh?«
»Pharao hat mir erst kürzlich einen neuen persönlichen Schreiber zugeteilt. Ein junger Mann namens Sinuhe, Sohn des Cheti.«
»Des Cheti, persönlicher Schreiber von Amenemhet, ehrlichster und unbestechlichster aller Beamten?«
»Genau desselben.«
»Möge Seth seine Eingeweide fressen!«, entfuhr es Amunnacht. »Uto hat mir von dem jungen Mann erzählt. Er ist auch noch ein guter Freund von Sesostris. Und er stört unsere Söhne seit einiger Zeit in ihrem Vorhaben, den Kronprinzen ganz zu vereinnahmen.«
Meketre stöhnte: »Wenn ich das nur bedacht hätte, wäre ich vorsichtiger
Weitere Kostenlose Bücher