«Sire, ich eile …»: Voltaire bei Friedrich II. Eine Novelle (German Edition)
Voltaire im Namen Seiner Königlichen Majestät den Kammerherrenschlüssel wie auch das Kreuz und Band pour le mérite abfordern, und da auch der Voltaire alle seine von hier abgehende Pakete und Emballagen dorthin adressiret, worunter von seiner Königlichen Majestät höchst eigenen Händen viele Briefe und Skripturen sich befinden werden, als sollen gedachte Pakete und Emballagen, auch seine bei sich habenden Chatullen in Ihrer Gegenwart geöffnet werden, und alles Beschriebene abgenommen werden, ingleichen ein Buch, welches Einlage besaget. Da aber dieser Voltaire sehr intrigant, als haben Sie beiderseits alle Präkaution zu nehmen, dass er Ihnen nichts verhehlet und unterschläget. Nachdem alles wohldurchgesucht und in Empfang genommen worden, so muss es gut eingepakt werden und an mir nach Potsdam gesandt werden. Allenfalls er sich mit Gutem Obiges nicht wollte abnehmen lassen, soll er mit Arrest bedrohet werden, und so dieses nicht helfen möchte, muss er wirklich arretirt werden, und ohne Komplimente Alles genommen, ihn aber alsdann reisen lassen. Ich bin Euer wohl affektionirter›
Unterschrift: Frch.»
Fredersdorf hatte es aber versäumt, dem Befehl die «Einlage» anzufügen.
Kriegsrat Freytag fragte nach und erhielt einen zweiten Befehl vom 29. April, geschrieben von Fredersdorf, unterzeichnet von Friedrich:
«Seine Königliche Majestät geben zur gnädigsten Antwort, dass, wann der Voltaire Frankfurt passiren sollte, es bei dem ersten Schreiben bleiben soll. Sollten seine Emballagen schon durch sein, so soll er so lange arretirt sein, bis er alle Königlichen Manuskripte ausgeliefert, und muss er seine Emballagen lassen zurückkommen, damit Sie es beide sehen. Das Buch, welches hauptsächlich mit retour kommen soll, ist benannt Oeuvres de Poesie.»
Dieser zweite Befehl machte Freytag nicht schlauer. Zuerst hatte es geheißen, er solle Voltaire «alles Beschriebene» abnehmen, nun hieß es: «alle Königlichen Manuskripte».
Freytag konnte sich keinen Vers auf die Œuvres de poésie machen. Es stand nicht im Befehl, ob es sich um gedruckte oder handschriftliche Œuvres handelte und wer ihr Verfasser war.
Vom preußischen Residenten Freytag sagte Voltaire später, dieser sei aus Dresden verbannt worden, wo man ihn an den Pranger gestellt und zum Karrenziehen verurteilt gehabt hätte; in Frankfurt sei er Agent des Königs von Preußen geworden. Der zweite königliche Beauftragte, Hofrat Schmidt, sei wegen Falschmünzerei vorbestraft gewesen.
Einen Tag nach Voltaires Ankunft erschien Freytag im Gasthaus Zum Goldenen Löwen. Schmidt, der hätte dabeisein sollen, befand sich gerade nicht in der Stadt. Statt seiner brachte Freytag den Ratsherrn Rücker mit. Sie ließen sich von einem preußischen Werbeoffizier begleiten.
Voltaire, äußerst mißgestimmt, bald aber gefaßt, übergab Freytag aus seinen Koffern die königlichen Briefe, das Ordenskreuz und den Kammerherrn-Schlüssel. Aber die Œuvres de poésie waren nicht dabei.
Voltaire wußte, daß das Buch sich in einer Kiste befand, die er in Leipzig zurückgelassen hatte.
Nach langem Hin und Her drohte Freytag ihm mit der Arretierung.
Schließlich erklärte Voltaire sich bereit, die Kiste nach Frankfurt nachkommen zu lassen, und er gab Freytag sein Ehrenwort, bis dahin unter Hausarrest im Gasthaus Zum Goldenen Löwen zu bleiben.
Freytag versicherte Voltaire schriftlich, daß er nach der Übergabe der Œuvres de poésie abreisen dürfe.
Den Wirt des Gasthauses verpflichtete Freytag eidlich, Voltaire im Auge zu behalten. Zudem stand der Bruder des Gastwirts als Leutnant in preußischen Diensten.
Einen Fluchtversuch Voltaires schien Freytag nicht zu befürchten. Noch am 1. Juni schrieb Freytag nach Potsdam:
«Ich kann nicht wissen, wieviel Koffres er noch habe, und da ich gar nicht weiß, was ich suchen solle, …, so wäre wohl am füglichsten, wenn ein königlicher Sekretär hierher käme, der eine genaue Untersuchung anstellen könne; zumal ich Ew. königlichen Majestät allerhöchst eigene Hand gar nicht kenne.»
Ein längerer Aufenthalt Voltaires in Frankfurt war unvermeidlich geworden. Freytag berichtete am 5. Juni:
«Er fängt schon an, sich gute Freunde zu machen, die ihme vielleicht Hoffnung machen, bei dem Magistrat Assistenz zu erhalten. Er ware, da ich bei Ihme ware ziemlich insolent; er verlangte in ein ander Quartier zu ziehen; er wollte dem Herzog von Meiningen aufwarten; ich mußte es ihme, doch mit aller
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