«Sire, ich eile …»: Voltaire bei Friedrich II. Eine Novelle (German Edition)
geschoben.
Voltaire las aus seinem Stück Mahomet . Er antwortete im Kreise der Gäste auf Friedrichs Fragen; seine Antworten uferten in Monologe aus, und alle hörten ihm gespannt zu.
Friedrich schrieb an Jordan:
«… ich habe nur bewundern und schweigen können.»
Allerdings hatte Voltaire sich geirrt, als er glaubte, Friedrich sei nur deshalb in sein rheinisches Herzogtum Kleve gereist, um ihn zu treffen.
Zu Friedrichs Erbe zählte eine kleine Gemeinde nahe Lüttich, die Stadt Herstal, die 1732 an Preußen gefallen war. Die Herstaler wollten aber nichts mit Preußen zu tun haben; zwar hatten sie Friedrichs Vater zwangsweise Lehnstreue geschworen, fühlten sich jedoch nicht an den Eid gebunden. Der Fürstbischof von Lüttich unterstützte die widersetzlichen Herstaler.
Nach der Thronbesteigung Friedrichs weigerte sich die Stadt Herstal, den erzwungenen Eid zu wiederholen. Man sei nur dem Fürstbischof von Lüttich verpflichtet. Hinter dem Bischof stand der französische König.
Friedrichs Minister hatten ihm wegen der drohenden Kriegsgefahr von einem militärischen Vorgehen gegen den Lütticher Fürstbischof abgeraten.
Friedrich:
«… wenn sie anfangen, vom Krieg zu reden, ist es, als wenn Irokesen über Astronomie diskutieren.»
Genau am Tag von Voltaires Ankunft auf Schloß Moyland stellte Friedrich dem Fürstbischof ein Ultimatum, und genau an dem Tag, da Friedrich und Voltaire das Schloß verließen, marschierten drei Bataillone preußischer Gardegrenadiere und eine Schwadron Dragoner in das Lütticher Gebiet ein.
Zweitausend bewaffnete Preußen in Lüttich, und die Rebellion der Herstaler und des Fürstbischofs fand ein Ende.
Im Oktober trat Friedrich seine Herstaler Rechte an Lüttich ab, gegen eine Zahlung von 240 000 Talern.
Das war Friedrichs Grund für seine Reise nach Kleve. Der Wunsch, Voltaire zu sehen, ein Vorwand. Die Begegnung mit Voltaire ein Beifang.
Voltaire reiste zurück nach Den Haag.
An Émilie schrieb er, seine Anwesenheit in Den Haag sei unumgänglich, da er mit der Herausgabe von Friedrichs Antimachiavell beschäftigt bleibe.
Das Buch erschien Ende September 1740 anonym, bearbeitet und herausgegeben von Voltaire.
Noch auf Schloß Moyland war Voltaire von Friedrich nach Rheinsberg eingeladen worden. Er schrieb an Émilie, er könne die Einladung unmöglich ausschlagen; er werde nach Preußen reisen.
Émilie war aufgebracht. Sie fürchtete, Voltaire an Friedrich zu verlieren. Denn über Friedrichs Absichten gab sie sich keinen Illusionen hin. Er wollte Voltaire in Preußen haben, um sich als «Philosoph auf dem Thron» zu berühmen.
Voltaires Wunsch, ein Mentor des jungen Königs zu sein, betrachtete Émilie mit äußerster Skepsis. Der «Salomon des Nordens», der eine Armee von 100 000 Soldaten kommandierte, werde sich früher oder später entpuppen, ungeachtet der hehren Sprüche in seinem Antimachiavell .
12.
Am 7. November 1740 machte Voltaire sich auf den Weg nach Preußen, begleitet von dem Orientalisten Du Molard, den Friedrich nach Berlin berufen hatte. Die Reise beschwerlich. Mitten in Westfalen ein Schaden an der Kutsche. Voltaire, in Samthosen, Seidenstrümpfen und Pantoffeln, mußte auf einem Bauerngaul nach Herford reiten, um Hilfe zu holen.
Endlich, am 19. November, kam Voltaire in Rheinsberg an.
Noch am Tag seiner Abreise aus Den Haag hatte Friedrich die Mobilmachung seiner Armee befohlen, doch Voltaire in Rheinsberg erfuhr davon nichts.
Friedrich schwieg.
Émilie hatte sich unterdessen in Cirey vergraben und widmete sich ihren physikalischen Experimenten.
Die Einsamkeit von Cirey machte ihr zu schaffen. Es tröstete sie auch nicht, daß Voltaire ihr schrieb, er bleibe nur kurz in Preußen.
«Es ist hier arktisch kalt. Die Speisen aus der königlichen Küche sind schwer verdaulich.»
Sie folgte nicht dem Rat von Freunden, doch nach Paris zu kommen.
Sie entschied sich für Brüssel und wohnte dort in dem Haus in der Rue de la Grosse Tour, das Voltaire und sie gemietet hatten. So, glaubte sie, wäre sie Voltaire näher als in Paris.
Voltaire hielt sich in Rheinsberg oder Berlin auf.
Tischgesellschaften. Geistvolle Dispute. Flötenkonzerte.
Friedrichs Homosexualität war für Voltaire eine ausgemachte Sache. Auf Schloß Moyland hatte er die Atmosphäre noch amüsant gefunden. Schöne Männer! Es lag ihm fern, über Homosexualität zu urteilen. Jetzt, in Rheinsberg und Berlin, fehlte ihm die
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