«Sire, ich eile …»: Voltaire bei Friedrich II. Eine Novelle (German Edition)
Friedrich habe im Badehaus des Krebsbades Heilung gesucht.
15.
Im Januar 1743 war Kardinal André-Hercule de Fleury, fast neunzigjährig, gestorben.
Dem neuen Minister, Jean-Jacques Amelot de Chaillou, fiel wenig ein.
Da tat sich der Herzog von Richelieu, dessen Geliebte Émilie einst gewesen und der mit Voltaire freundschaftlich vertraut war, bei Ludwig XV. hervor.
Seine Idee: Der französische Botschafter in Berlin solle das Gerücht streuen, Voltaire werde in Paris verfolgt und befinde sich auf der Flucht. Zum Beweis sei die Aufführung von Voltaires La mort de César in der Comédie Française zu verbieten und Voltaire Verhaftung anzudrohen. Einige Zeit später habe Émilie aus Cirey an Friedrich zu schreiben, sie bitte für Voltaire um Asyl. Bald darauf sei Voltaire an der Reihe. In einem Brief aus Brüssel solle er Friedrich um die Erlaubnis bitten, nach Preußen kommen zu dürfen.
Der König und Amelot hielten Richelieus Plan für superbe. Auch Voltaire war angetan von der Aussicht, als eine Art Geheimdiplomat an den preußischen Hof zu gehen.
Aber Émilie sagte zu Richelieu:
«Nein! Ohne mich!»
Amelot suchte Émilie auf.
Sie sagte:
«Ich spiele nicht mit!»
Schließlich bestellte der König Émilie nach Fontainebleau.
Émilie blieb äußerlich ruhig.
Sie sagte:
«Ich war der Ansicht, daß Monsieur Voltaire freiwillig handle. Können Majestät das bestätigen?»
Der König gab ihr recht.
Émilie sagte:
«Vielleicht fühlt Monsieur Voltaire sich verpflichtet, den preußischen König zu hintergehen, um für Frankreich etwas Wichtiges zu erfahren. Ich aber kann es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, mich an dieser Täuschung zu beteiligen. Ich werde König Friedrich nicht belügen.»
Erregt verließ Émilie das Schloß.
Nur Voltaire konnte Émilie dazu bewegen, bei dem Täuschungsmanöver mitzutun; es gelang ihm. Émilie fürchtete aber, Friedrich könnte die Sache durchschauen.
Sie traute ihm für diesen Fall zu, Voltaire in einen tödlichen Unfall verwickeln zu lassen.
Voltaire reiste mit dem preußischen Gesandten in Den Haag, Otto Graf von Podewils, nach Berlin ab. Sie kamen am 30. August 1743 an.
Friedrich traf drei Tage später aus Potsdam ein.
Voltaires Zimmer im Schloß lagen in der Nähe der königlichen Gemächer.
Friedrich ließ im Schloßtheater zu Ehren Voltaires eine Oper aufführen. Voltaire erhielt das Recht, in Friedrichs Loge zu sitzen.
Voltaire nahm es sich heraus, Friedrich einen Fragebogen vorzulegen, der neun politische Fragen enthielt.
Friedrich beantwortete die Fragen ironisch, und Voltaire war am Ende nicht klüger als vorher.
Voltaire flirtete ungeniert mit Friedrichs Schwester Ulrike. Er schrieb Verse auf sie:
«Ein wenig Wahrheit ist gar oft
Dem Tuch der Lügen eingewoben:
Heut nacht in einem irren Traum
Ward ich zum Könige erhoben.
Ich liebte Sie, Prinzeß, und hab’ es kühn geschworen!
Als ich erwachte, war nicht alles Schaum:
Ich hatte nur mein Reich verloren.»
Ulrike fühlte sich geschmeichelt und lachte.
Sie zeigte Friedrich die Verse Voltaires. Der spöttelte und diktierte ihr eine Antwort. Sie endete mit den Worten:
«Ihr habt ein Königreich verloren und ich die Kunst zu reimen.»
Friedrich ließ wissen, daß er zu seiner Schwester Wilhelmine, Markgräfin von Bayreuth, zu reisen gedenke. Voltaire wurde nicht eingeladen. Er schloß sich der Reisegesellschaft nach eigenem Gutdünken an.
Wilhelmine, die Lieblingsschwester Friedrichs, kannte er seit seinem Aufenthalt im November 1740 in Rheinsberg. Voltaire fühlte sich als ihr Freund, und sie mochte ihn.
Voltaire hoffte, mehr über Friedrichs Pläne von ihr zu erfahren als von Friedrich.
Über den Bayreuther Ablenkungen versäumte Voltaire es, an Émilie zu schreiben.
Sie war hin und her gerissen zwischen kalter Wut und brennender Eifersucht.
Voltaire reiste schließlich nach Berlin zurück und nahm am 12. Oktober Abschied von Preußen. Er hatte sich eine neue Kutsche gekauft. Sie ging am zweiten Reisetag in die Brüche. Er lag auf einer Dorfstraße im Dreck. Bauern halfen ihm, bestahlen ihn aber auch.
Er legte eine Erholungspause am braunschweigischen Hof ein.
In Brüssel wartete Émilie.
An Voltaires Freund, den Comte d’Argental, schrieb sie:
«Ich kenne ihn nicht mehr wieder, ihn, von dem mein Leid und Freud abhängt … Er ist völlig trunken. Ich weiß durch den preußischen Sendboten im Haag, daß er am 12. Oktober aus Berlin abgereist ist; er soll über
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