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Sirenenlied

Sirenenlied

Titel: Sirenenlied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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schüttelte leicht benommen den Kopf. »Die Frage müsste wohl eher lauten: Ist bei dir alles in Ordnung? Das ganze Salz auf deiner Haut... Hast du etwa bei diesen Temperaturen ein nächtliches Bad genommen?«
    Verblüfft hob Josh den Kopf, dann nahm er seinen Oberkörper in Augenschein, der tatsächlich mit einer kristallinen Schicht überzogen war. Die Spur feiner Haare, die auf seinem Bauch begann, war sogar von einem weißen Pulver verkrustet. Mit einem Fluch auf den Lippen warf er die Decke fort und stellte fest, dass nicht nur sein ganzer Körper von dem Salzfilm überzogen, sondern auch sein Bettzeug klamm von Meerwasser war - und nicht verschwitzt. Als wäre er klitschnass nach einem Bad in der spätwinterlichen See ins Bett gestiegen. Nur hätte nicht einmal das die Salzablagerungen auf seiner Haut erklärt.
    »Josh, was hast du getan?« Eileen schien jeden Moment in Tränen auszubrechen.
    Mit einer ruppigen Bewegung rieb Josh sich die Augen, die sogleich wegen des Salzes zu brennen begannen. »Geh bitte in die Küche. Ich muss zusehen, dass ich das Zeug von der Haut bekomme, okay?«
    Eileen verzog das Gesicht, als würde sie etwas erwidern
wollen, aber sein Ton war wohl doch zu entschieden ausgefallen, denn sie drehte sich wortlos um und verschwand in Richtung Küche.
    Seine Knie bereiteten ihm auf dem Weg ins Badezimmer einige Schwierigkeiten, genau wie seine zitternden Finger, denen es schwerfiel, eine Wassertemperatur zwischen brühend heiß und eiskalt auszuloten. Kurzerhand nahm er eine kalte Dusche, doch das eisige Wasser verfehlte seine Wirkung. Stattdessen ging es mit dem Salz eine geheimnisvolle Verbindung ein, denn seine Haut glühte auf, als würde sie von unzähligen Händen und Zungenspitzen liebkost.
    »Gott verdamm mich«, japste Josh auf und stützte sich mit den Unterarmen gegen die Wand.
    Es kostete ihn enorme Willenskraft, sich nicht in der Lust zu verlieren, sondern seine körperlichen Reaktionen so lange auszublenden, bis das Salz und mit ihm der Zauber von seiner Haut gespült worden war. Mit einigem Widerwillen trocknete er sich ab, denn noch immer jagte ihm jede Berührung einen prickelnden Schauer durch sein Nervengeflecht. Er wusste zwar noch nicht, wie, aber jemand würde ihm dafür büßen. Er war kein unschuldiger Junge mehr, der nicht wusste, wie ihm geschah. Er traf seine eigenen Entscheidungen und würde es zu verhindern wissen, dass sein Wille einfach so manipuliert wurde. Aber jetzt musste er erst einmal diesen quälenden Drang unter Kontrolle bekommen, bevor er Eileen entgegentrat. Sonst konnte er für nichts garantieren.

5
    Alte Geschichten
    Eileen hatte es inzwischen aufgegeben, ihre Nervosität in den Griff zu bekommen. Schließlich war sie bereits ein Nervenbündel gewesen, als sie ihr Zuhause mit einem Teller Pfannkuchen verlassen hatte. Nein, noch eher, nämlich als Josh Galbraith ihr mitten in der Nacht ein paar Unverschämtheiten an den Kopf geworfen hatte, um sie abzuschütteln. Dass es ihm darum gegangen war, das Gespräch über das Sirenenlied notfalls mit verbaler Gewalt zu beenden, war ihr erst klargeworden, nachdem sie sich stundenlang im Bett hin und her gewälzt hatte - mal mit Verwünschungen auf den Lippen, mal mit dicken Tränen in den Augen. Jetzt verstand sie, dass er nicht darauf abgezielt hatte, sie vorzuführen oder gar zu verletzen - so ein Verhalten hätte Josh auch gar nicht ähnlich gesehen. Nein, er hatte sie derart heftig angefahren, weil sie einen wunden Punkt getroffen hatte. Und damit hatte sie schlicht nicht gerechnet.
    Eileen war zwar auf Cragganmore Island geboren, aber
auf dem Festland aufgewachsen. Erst vor ein paar Jahren war sie mit ihrer Familie auf die Insel zurückgekehrt, da ihre Großmutter sich nicht länger selbst versorgen konnte und ihre Mutter gerade mal wieder einen Job verloren hatte. Aber auch sie kannte die Geschichte von den Sirenen, die jedes Jahr mit den Frühjahrsstürmen an der schottischen Küste vorbeistreiften und ihr verführerisches Lied sangen, das für die Männer der Hebriden ein tödliches Ende nehmen konnte. Allerdings galten die Sirenen deshalb noch lange nicht als schöne Ungeheuer, denn der Tod, den sie brachten, war über alle Maßen süß. Und welcher Mann wurde nicht schwach bei der Vorstellung, in einem Meer aus reiner Lust zu ertrinken? Die meisten jungen Frauen, die Eileen kannte, schüttelten darüber spöttisch den Kopf und wurden ausgesprochen schnippisch, wenn das Gespräch auf das

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