Sirenenlied
versank. Mit einer gewissen Übung packte Adam sie am Ellbogen.
»Haben Sie vergessen, irgendein Detail zu notieren, oder warum sind Sie plötzlich so nervös? Das Reden über ausgeblutete Leichen scheint Sie ja jedenfalls nicht aus der Ruhe zu bringen. Sagen Sie es mir ruhig, falls Sie als perfekte Assistentin versagt haben sollten. Ich werde es Anders schon nicht auf die Nase binden und Ihre Karriere ruinieren.«
Esther strich ihren Mantel glatt. »Ich habe nichts vergessen. Es gibt nur etwas, von dem ich mir nicht sicher bin, ob ich es überhaupt erwähnen soll.«
Adam brauchte nicht auf seinen Instinkt zurückzugreifen, um zu erkennen, dass sie einen innerlichen Kampf ausfocht. Geduldig wartete er ab.
»Vermutlich ist es eine Sackgasse, aber vor einigen Tagen hat es einen Polizeieinsatz im Außenbezirk gegeben. Nichts Großes. Es war wohl ein anonymer Tipp gegeben worden, der auf einen blutbesudelten Hinterhof hinwies. Allerdings ist dort außer dem Blut nichts gefunden worden. Ich habe also keinen Beweis, dass es sich um eine Opferung
gehandelt haben könnte. So, nun haben Sie es wenigstens gehört. Was Sie daraus machen, ist Ihre Sache.«
Hellhörig geworden, hakte Adam nach. »Woher wissen Sie davon?«
»Einer von Anders’ Kontakten beim LAPD hat angerufen und davon erzählt.«
Adam versuchte, Esthers Stocken auf die Schliche zu kommen. »Aber Anders glaubt nicht, dass dieser Fall auch unserem unbekannten Freund zuzurechnen ist?«
»Nein, deshalb steht er auch nicht auf der Liste. Ein Hundekampf auf einem Hinterhof, hat er gesagt. Ich sollte Sie nicht von den gesicherten Spuren ablenken. Aber Rischka, die das Gespräch mit dem Polizeikontakt angenommen hatte, war da anderer Meinung, darum habe ich es mir gemerkt.«
»Aha.« Obwohl Adam sicher war, dass mehr hinter dieser Geschichte steckte, ließ er es auf sich beruhen. Esthers Gesichtsausdruck zufolge hätte er deutlich mehr Druck ausüben müssen, um mehr aus ihr herauszubekommen, als ihm lieb war. »Meine Aufgabe besteht also darin, einen meinesgleichen zu finden, der Anders’ ungeschriebene Regeln bricht. Wenn ich ihn habe, soll ich ihm dann gleich ein Ende bereiten?«
Das hatte Adam zwar keineswegs vor - einen von seiner Art auszulöschen, weil er es mit den Opfern übertrieb, würde ihm zwar nichts ausmachen, aber es war eine Höllenarbeit. Außerdem geriet der Dämon jedes Mal in einen Wahnsinnsaufruhr, wenn er einen von ihnen ohne seine Erlaubnis tötete. Trotzdem interessierte es ihn, wie Anders mit dem Unruhestifter umzugehen gedachte, wenn er ihn erst einmal in den Fingern hatte.
»Sehen Sie …«, fing Adam an.
Genau in diesem Augenblick riss der Wind das Tuch von Esthers Kopf und wirbelte ihr einen rotblonden Schleier vor das Gesicht.
Wie Feuerfunken im Winterlicht.
Adam ertappte sich gerade noch rechtzeitig dabei, wie er die Hand ausstreckte, getrieben von dem Verlangen, sich an diesem Winterfeuer zu verbrennen. Stattdessen fing er geschickt das Seidentuch auf.
Esther stieß ein unerwartet vergnügtes Lachen aus, während sie ihr Haar mit den Händen zu bändigen versuchte. Was ihr jedoch nicht gelang, wie Adam voller Genugtuung feststellte. Eine lachende Esther mit zerzausten Haaren passte viel besser zu der Frau, die Adam in ihr erkannte, als die distanzierte Dienerin.
»So was aber auch«, rief sie. »Die bekomme ich bei diesem Wind im Leben nicht wieder unters Tuch.«
»Lassen Sie es doch einfach offen.« »Damit ich aussehe wie eine wild gewordene Hexe? Lieber nicht. Dann kann ich mir ja auch gleich die Pumps abstreifen und mit den Füßen ins Wasser laufen. Danach sehne ich mich schon die ganze Zeit.«
»Ich halte Sie ganz bestimmt nicht davon ab.«
»Nein, so einer sind Sie nicht, was?«, flachste Esther zurück.
Unter Einsatz beider Hände gelang es ihr schließlich, das Haar zumindest aus dem Gesicht zu bannen. Zum ersten Mal sah Adam ihr Lächeln, frei und ungezwungen. Ehe er sich’s versah, erwiderte er es und streckte ihr das Tuch entgegen. Es war ein seltsam vertrauter Moment, als sie das Tuch nahm und dabei seine Finger streifte. Ihre Berührung fühlte sich genauso glatt und kühl an wie die Seide.
»Ich habe Sie gestern Abend am Klavier gehört«, sagte
sie atemlos. »Ihr Spiel ist sehr intensiv, ich konnte mich nur schwerlich entziehen. Ich hätte nicht gedacht, dass Dämonen dazu in der Lage sind, so tief zu empfinden. Und das muss man doch, um so spielen zu können.« Esther biss sich auf die
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