Skandal im Ballsaal
Ungeheuer an kaltherzigem Selbstbe-wusstsein hätte wissen müssen, wie müde und elend sie sich fühlte und wie verzweifelt sie eine Beruhigung gebraucht hätte, saß eben dieser Mensch still da. Vielleicht brauchte er eine Ermutigung? Sie gab sie ihm. „Nachdem ich mit Ihren anderen Flammen bekannt wurde, Herzog - alles Edelsteine reinsten Wassers! -, wäre ich wohl ungemein töricht gewesen, zu glauben, Sie zögen mich vor! Sie baten mich, Sie zu heiraten, denn Sie sind fest entschlossen, nicht einzugeste-hen, dass Sie geschlagen wurden. Sie setzen daher alles daran, Ihr Ziel zu erreichen!"
Jetzt oder nie war es Zeit für Sylvester, sich reinzuwa-schen. Er sagte mit Bedacht: „Sie brauchen nichts weiter zu sagen, Miss Marlow. Ich sehe jetzt ein, dass es nutzlos für mich wäre, Ihnen antworten zu wollen."
„Wenn Sie wissen wollen, was ich von Ihnen halte", sagte Phoebe mit bebender Stimme, „dann muss ich Ihnen sagen, dass Sie sehr viel schlechter als Graf Ugolino sind!"
Er war still. Nun! Jetzt wusste sie, wie recht sie gehabt hatte. Er war nicht im Geringsten in sie verliebt, und sie war froh, das zu wissen. Alles, was sie wollte, war ein passender Zufluchtsort, so etwas wie eine Rumpelkammer oder ein Kohlenkeller, wo sie sich ganz ihrem Glück hingeben konnte.
Die Chaise hielt, Sylvester stieg aus und ließ eigenhändig die Treppen herunter. Solch eine Herablassung! Phoebe riss sich zusammen, stieg aus und sagte mit großer Würde:
„Ich muss Ihnen danken, Herzog, dass Sie so freundlich waren, mich nach England zurückzubringen. Falls wir einander nicht wieder treffen sollten, möchte ich Ihnen gern versichern, bevor wir einander Lebewohl sagen, dass ich sehr wohl weiß, was ich Ihnen schulde, und dass ich Ihnen außerordentliches Glück wünsche."
Diese wohlgesetzte Rede hätte ebenso gut unausgesprochen bleiben können, was die Aufmerksamkeit betraf, die Sylvester ihr zollte. Er sagte: „Ich komme mit Ihnen", und ließ den Türklopfer ertönen.
„Ich bitte Sie höchst ernsthaft, das nicht zu tun!", sagte sie mit leidenschaftlichem echtem Gefühl.
Er nahm ihre Hand in die seine. „Miss Marlow, lassen Sie mich das eine für Sie tun! Ich kenne Lady Ingham und weiß, wie ihre Laune ist. Ich verspreche Ihnen, sie wird nicht böse auf Sie sein, wenn ich sie nur zuerst sehen kann."
„Sie sind sehr gütig, Herzog, aber ich versichere Ihnen, ich brauche keine Vermittlung!", sagte sie stolz.
Die Tür öffnete sich, Horwich stieß hervor: „Miss Phoebe!"
Er begegnete dann einem höchst entmutigenden Blick Sylvesters, verbeugte sich und stammelte: „Euer G-gnaden!"
„Lassen Sie Miss Marlows Gepäck ins Haus bringen!", sagte Sylvester kalt und wandte sich wieder an Phoebe. Es war offensichtlich nutzlos, sie überzeugen zu wollen; da er wusste, dass Horwich jedes Wort hörte, streckte er die Hand aus und sagte: „Ich will Sie nun verlassen, Miss Marlow. Ich kann Ihnen nicht genug dankbar für das sein, was Sie getan haben. Wollen Sie Lady Ingham meine Empfehlungen übermitteln und sie in Kenntnis setzen, dass ich hoffe, bei ihr kurz vorsprechen zu können, wobei ich ihr sagen werde - denn ich weiß gut, dass Sie das nicht tun! -, wie tief verbunden ich Ihnen bin. Auf Wiedersehen! Gott segne Sie!"
Er verbeugte sich und küsste ihre Hand, während Horwich, von Neugierde verzehrt, ihn anglotzte.
Für Phoebe, die weit davon entfernt war, zu erkennen, was seine Absicht sein musste, war diese Rede der letzte Strohhalm. Sie brachte es fertig zu sagen: „Sicherlich! Ich meine - Sie übertreiben, Herzog! Auf Wiedersehen!", und dann eilte sie in das Haus.
„Wenn das Gepäck weggebracht worden ist, fahren Sie zurück zum Salford House!", sagte Sylvester dem ersten Postkutscher. „Sie werden dort bezahlt werden. Ich gehe zu Fuß."
Als Reeth bald darauf seinem Herrn die Tür öffnete, war er sehr entsetzt. Er hatte schon geargwöhnt, dass irgendetwas nicht in Ordnung sei, und bemerkte nun, dass dem in der Tat so war. Er hatte diesen Blick auf dem Gesicht Seiner Gnaden schon einmal gesehen. Es wäre nicht angenehm, etwas darüber zu sagen, aber er konnte ihm wenigstens etwas berichten, das zu hören ihm guttun würde. Als er Sylvester aus dem Reisemantel half, sagte er: „Ich hatte vorher keine Zeit, Euer Gnaden zu informieren, aber ..."
„Reeth, was zum Teufel tun Sie hier?", fragte Sylvester, als hätte er ihn gerade erst bemerkt. „Guter Gott, Sie wollen doch nicht sagen, dass meine Mutter hier
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