Skelett
Hier, nehmen Sie den da …«
Er gab Tweed den Spazierstock, den er die ganze Zeit in der Hand gehalten hatte. Tweed bedankte sich und wollte Paula folgen, die sich bereits auf den Weg gemacht hatte, aber Garner hielt ihn am Ärmel fest.
»Noch etwas. Bei uns hier hat es tagelang wie aus Eimern geschüttet, bevor es zu schneien anfing. Es kann gut sein, dass sich der Boden unter Ihren Füßen bewegt. Das Moor gibt leicht nach, und Sie halten das vielleicht für ein Erdbeben.«
»Nochmals vielen Dank«, sagte Tweed und eilte Paula hinterher.
Es herrschte eine bittere, geradezu sibirisch anmutende Kälte. Paula rieb die Hände aneinander, dabei hatte sie sowieso schon Handschuhe an. Sie war heilfroh, dass sie die Lederstiefeletten und den pelzgefütterten Mantel trug. Ein ganzes Stück vor ihr marschierte Michael steif wie ein Soldat den breiten Weg entlang.
Bald hatten sie den Ort hinter sich gelassen. Der Weg stieg an, und das Moor wurde immer einsamer und düsterer.
Während Paula sich bemühte, Michael einzuholen, der sich nicht ein einziges Mal nach ihnen umdrehte, sah sie sich die Umgebung genauer an. Die wilde Landschaft ringsum war mit Stechginster und Heidekraut bewachsen und teilweise noch von Schnee bedeckt, der bläulich das Mondlicht reflektierte.
Als Tweed zu ihr aufschloss, sagte sie: »Je höher wir hinaufkommen, desto mehr Schnee liegt.«
»Das ist nun einmal nicht zu ändern. Ich frage mich, wie weit es wohl noch bis Volkanians Abbey Grange ist.«
»Glauben Sie, dass Michael dorthin will?«
»Der Wirt behauptet jedenfalls, dass dieser Weg genau dorthin führt.«
»Sagten Sie nicht, dass Volkanian Armenier ist? Dieser Dr. Saxon kommt doch auch von dort, zumindest hat Mrs Ashton das behauptet. Könnte da ein Zusammenhang bestehen?«
»Keine Ahnung«, sagte Tweed und wurde seltsam still.
»Was haben Sie denn?«, fragte Paula.
»Wenn ich den Mond über dem Dartmoor sehe, muss ich daran denken, wie ich früher mit meiner Frau hier gewandert bin. Das war, bevor sie mit diesem griechischen Großreeder durchgebrannt ist.«
»Haben Sie eigentlich jemals daran gedacht, sich von ihr scheiden zu lassen?«, fragte Paula vorsichtig.
»Zu kompliziert. Ich weiß ja nicht einmal, wo sie ist. Das Letzte, was ich von ihr gehört habe, war, dass sie mit dem Griechen auf einer seiner Jachten nach Buenos Aires gefahren ist. Und das ist jetzt Jahre her.«
Mittlerweile hatten sie eine Anhöhe erreicht. Dahinter führte der Weg bergab, ehe er in der Ferne wieder leicht anstieg. Tweed deutete nach rechts.
»Dort unten liegt ein kleines Tal. Hier nennt man es Comb, ein altes Wort aus der Grafschaft Devon.«
»Sehen Sie nur, da steht ein Schneemann am Wegrand. Und Michael ist daran vorbeigegangen, ohne einen Blick darauf zu werfen. Nicht gerade ungefährlich für Kinder, hier draußen zu spielen.«
Als sie den großen Schneemann erreichten, schlug Tweed mit dem Spazierstock nach dessen Kopf. Die Schneehaube fiel zu Boden, und ein menschlicher Schädel kam zum Vorschein.
»Gott im Himmel!«, stieß Paula entsetzt hervor und starrte auf den aus seinem unförmigen Schneeleib herausragenden Totenkopf.
Als sie erschrocken einen Schritt zurücktrat, schwankte der Boden unter ihr, und der Schädel, an dessen einer Seite noch nasses braunes Haar klebte, schien sie mit gelben Zähnen anzugrinsen. Tweed kramte seine Taschenlampe hervor und lenkte deren Strahl auf den makabren Schneemann.
Vorsichtig entfernte er mit seinem Spazierstock noch etwas mehr Schnee und enthüllte nach und nach den Oberkörper des Skeletts. Auf der einen Seite hingen noch ein paar Fetzen gefrorenes Fleisch, was Tweed ziemlich merkwürdig vorkam. Er beugte sich ganz nahe an den Hals des Toten und leuchtete ihn mit der Taschenlampe ab.
»Was ist?«, fragte Paula.
»Dem hat jemand mit einem scharfen Instrument halb die Wirbelsäule durchtrennt. Um das zu bestätigen, brauchen wir allerdings einen Pathologen. Es könnte sein, dass wir es hier …«
»… mit einem Mord zu tun haben«, flüsterte Paula.
»Dürfte ich bitte mal Ihr Handy benutzen?«
»Hier, nehmen Sie«, sagte sie.
»Außerdem brauchen wir irgendetwas Auffälliges, das man von der Luft aus sieht.«
Paula wickelte sich ihr rotes Schultertuch vom Hals, das fast die Ausmaße einer kleinen Fahne hatte. Tweed breitete es auf dem Weg aus und beschwerte die Ecken mit Steinen. Dann ließ er sich von Paula das Mobiltelefon geben und tippte eine Nummer ein.
»Ich rufe jetzt Roy
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