Skelett
ungestört unterhalten?«
»Ja, in meinem Arbeitszimmer. Haben Sie Hunger? Zumindest die junge Dame« - dabei lächelte er Paula freundlich an - »sieht so aus, als könnte sie einen Happen vertragen. Sie kommen gerade rechtzeitig zum Abendessen.«
Auf der rechten Seite der Halle ging eine Tür auf, und eine kleine, untersetzte Frau mit mürrischem Gesichtsausdruck kam herein.
»Bleiben die Herrschaften zum Abendessen, Mr Voles?«, fragte sie.
»Ja, Mrs Brogan. Würden Sie bitte drei Portionen mehr zubereiten?«
»Ich werde sehen, was sich machen lässt«, knurrte sie und starrte die Eindringlinge feindselig an. Mrs Brogan hatte dickes graues Haar, das sie im Nacken mit einem schwarzen Band zusammengebunden hatte, kleine, stechende Augen und eine aggressiv geschwungene Nase. Ihre Lippen waren bleistiftdünn und enthüllten beim Sprechen zwei Reihen kleiner, spitzer Zähne. Unter ihrer Schürze trug sie einen schwarzen Rock, und ihre kräftigen Beine steckten in Strümpfen von derselben Farbe. Große, breite Hände und muskulöse Arme vervollständigten den Eindruck einer resoluten Person. Als sie ging, ließ sie die Tür mit lautem Knall zufallen.
»Hier entlang, bitte«, forderte Voles seine Gäste auf und öffnete eine Tür zu ihrer Linken, die in ein gemütlich eingerichtetes Arbeitszimmer führte. Im offenen Kamin prasselte ein munteres Feuer.
»Wir sollten uns vorstellen«, sagte Tweed und zeigte Larry seinen Ausweis. »Mein Name ist Tweed, und das ist Miss Paula Grey, meine Assistentin und rechte Hand.«
»So eine rechte Hand hätte ich auch gern«, sagte Voles mit einem Lächeln. »Miss Grey strahlt große Kompetenz aus. Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten? Da draußen im Moor war es bestimmt ziemlich ungemütlich.«
»Vielen Dank, Mr Voles …«, sagte Paula.
»Nennen Sie mich Larry, bitte. Was möchten Sie haben?«
»Für mich einen Gin Tonic.«
»Und Sie, Mr Tweed?«
»Zu einem anständigen Brandy würde ich nicht Nein sagen.«
Larry bot den beiden bequeme Sessel vor dem Kamin an und ging zu einem an der Wand stehenden Barschrank. Während er sich mit den Drinks beschäftigte, beobachtete ihn Paula aus den Augenwinkeln. Der etwas über einen Meter achtzig große Mann mochte wohl Anfang dreißig sein und war schlank, aber dennoch muskulös. Seine lebhafte Art und die gesunde Gesichtsfarbe deuteten auf viel Bewegung an der frischen Luft hin. Die breite Stirn, die strahlend blauen Augen und die große, klassisch geformte Nase verliehen ihm ein männlich attraktives Aussehen, während der breite Mund und das starke Kinn Entschlossenheit ausdrückten, ohne aggressiv zu wirken. Voles reichte seinen Gästen die gefüllten Gläser und goss sich selbst einen großzügigen Scotch ein. Dann zog er sich einen Stuhl heran und nahm zwischen Tweed und Paula Platz.
Nachdem sie sich zugeprostet hatten, beschrieb Tweed seinem Gastgeber, wie man Michael auf einer Treppe in Whitehall aufgegriffen hatte, erwähnte dabei allerdings nicht, was dieser dabei vor sich hin gemurmelt hatte. Larry zündete sich eine Zigarette an und ließ sich von Tweed erzählen, dass Michael in psychiatrischer Behandlung gewesen war und überraschend Dr. Saxons Klinik verlassen hatte. Tweed schilderte, wie Michael ihn und Paula mit Gesten hierher ins Dartmoor gelotst und dann nach Abbey Grange geführt hatte, sagte aber nichts von der skelettierten Leiche, die er in dem Schneemann gefunden hatte.
»Das wär’s«, schloss Tweed seinen Bericht und nahm einen Schluck von seinem Brandy.
»Erklären Sie mir doch bitte noch einmal, was es mit dieser völligen Amnesie auf sich hat, unter der Michael leidet«, bat Larry mit ruhiger Stimme.
»Es bedeutet, dass er im Augenblick alles vergessen hat, auch seinen Namen und wer er ist. Was vermutlich der Grund ist, weshalb er nicht mehr spricht.«
»Sie sagten, die Polizei hätte ihm den Namen Michael gegeben. So heißt er tatsächlich. Ist das nicht seltsam?«
»Die Welt ist voller seltsamer Zufälle. Man fand eben irgendwie, dass er wie ein Michael aussieht«, entgegnete Tweed leichthin.
»Da ist noch etwas, was ich nicht verstehe. Wenn er sein Gedächtnis vollständig verloren hat, wie hat er Sie dann den ganzen Weg von London hierher dirigieren können? Das ist eine ziemlich komplizierte Strecke.«
»Da haben Sie Recht. Ich vermute, dass er sie schon öfter gefahren ist. Stimmt das?«
»Unzählige Male. Er musste oft zur Gantia-Anlage bei Basingstoke oder in die Verwaltung, die in
Weitere Kostenlose Bücher