Skelett
und gar nicht, dachte sie, während sie sich über die vereisten Steinplatten langsam auf die andere Seite tastete. Dort angekommen, drehte sie sich um und sah Tweed zu, wie dieser lässigen Schrittes die Brücke überquerte. Während sie Michael, der jetzt etwas langsamer weiterging, in gebührendem Abstand folgten, erzählte Tweed ihr von seinem Telefonat.
»Buchanan kommt mit einem Hubschrauber und bringt sein Tatortteam mit, darunter auch den Pathologen Professor Saafeld. Außerdem will er mir noch was geben, allerdings hat er nicht verraten, was es ist.«
»Sieht so aus, als hätten wir es jetzt mit einem Mord zu tun.«
»Langsam beginnt mich der Fall zu interessieren. Aber sehen Sie nur: Das dort muss Abbey Grange sein.«
Er zeigte nach vorn, wo sich vor dem vom Mondlicht erleuchteten Himmel auf dem Kamm eines Hügels die düstere Silhouette eines großen zweistöckigen Gebäudes abzeichnete, das an der linken Ecke einen hohen, spitzen Turm besaß. Volkanian hatte sich hier ein stattliches Refugium geschaffen. Tweed deutete nach rechts.
»Und dieser Felsberg dort drüben ist der Hook Nose Tor. Er ist über fünfhundertfünfzig Meter hoch und bietet von seinem Gipfel einen fantastischen Rundumblick über das ganze Dartmoor.«
Wie schön, dachte Paula, die trotzdem kein allzu großes Verlangen verspürte, auf den steilen Berg zu klettern. Der Anblick der kalten, schneebedeckten Moorlandschaft ließ sie frösteln. Möglicherweise lag das aber auch daran, dass sie das Bild des grinsenden Totenkopfs mit den halb verwesten Fleischfetzen und dem braunen Haar nicht mehr aus dem Kopf bekam.
Die Mauern von Abbey Grange bestanden aus mächtigen, grob behauenen Granitblöcken, die Volkanian bei seiner Renovierung offenbar im Original belassen hatte. Hinter den Bleiglasscheiben mehrerer Fenster schimmerte gelbliches Licht. An der gesamten Breitseite des Hauses zog sich eine Terrasse entlang, zu der eine breite Steintreppe hinaufführte. Soweit Paula das im schwachen Schein des Mondes beurteilen konnte, machte das ganze Anwesen einen sehr gepflegten Eindruck. Die Terrasse war vollständig vom Schnee befreit worden, die Wege waren frisch gestreut, und auf den Stufen der Freitreppe standen große Kübel mit winterharten, immergrünen Sträuchern, die kunstvoll zugeschnitten waren.
Michael stieg zügig die Treppe hinauf und hämmerte mit beiden Fäusten gegen das massive Eingangstor. Tweed setzte ihm nach, dichtauf gefolgt von Paula.
Als sie Michael erreicht hatten, ging die Tür nach innen auf, und vor ihnen stand ein junger Mann mit modisch geschnittenem dunklem Haar, dessen freundliches Lächeln einem Ausdruck tiefen Erstaunens Platz machte, als er Michael sah.
»Michael«, sagte er, »was um alles in der Welt ist denn mit dir passiert? Wo hast du die letzten drei Monate nur gesteckt?«
6
Tweed schaute an dem jungen Mann vorbei und sah, wie Michael die große, mit Eichenholz getäfelte Halle durchquerte. Ohne ein Wort zu sagen, steuerte er auf die breite Holztreppe zu, die hinauf zur Galerie im ersten Stock führte.
Unten an der Treppe blieb Michael stehen, legte die rechte Hand auf den Geländerknauf und fuhr mit den Fingern die Züge des aus dunklem Holz geschnitzten Männerkopfs nach. Erst nachdem er eine Weile so dagestanden hatte, stieg er langsam zur Galerie hinauf, wo er sich nach rechts wandte und aus Tweeds Blickfeld verschwand. Paula hörte das Geräusch eines sich im Schloss drehenden Schlüssels, gefolgt vom Knarren einer Tür. Der junge Mann, der Paula auf Anhieb sympathisch gewesen war, zuckte die Achseln und lächelte.
»Er ist in sein Zimmer gegangen und hat sich eingeschlossen. Das hat er schon früher getan, aber da hat er wenigstens noch mit mir geredet.« Er sah Paula und Tweed an. »Entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie erst jetzt begrüße«, sagte er. »Wollen Sie nicht hereinkommen? Warten Sie, ich nehmen Ihnen die Mäntel ab.«
Als Paula aus dem Mantel schlüpfte, trat er hinter sie und half ihr, ohne sie dabei, wie viele Männer es machten, ganz »zufällig« zu berühren. Als Nächstes nahm er Tweed den Mantel ab und hängte dann beide Kleidungsstücke in einen großen Schrank.
»Es ist nicht unsere Art, unangemeldet irgendwo hereinzuplatzen …«, begann Tweed.
»Aber das tun Sie doch gar nicht. Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Larry Voles. Vielleicht können Sie mir ja etwas über Michael erzählen. Allerdings nur, wenn Sie möchten.«
»Können wir uns hier irgendwo
Weitere Kostenlose Bücher