Skin Deep - Nichts geht tiefer als die erste Liebe (German Edition)
redete nicht darüber – außer in den demütigenden und qualvollen Momenten, wenn Mum fand, dass eine ernste Unterhaltung über meine Fortschritte angebracht war. Aber wie er es gerade getan hatte? So direkt? So sachlich?
Er kratzte sich am Hals. Sein Lächeln sah jetzt ein wenig gequält aus. »Was ich sagen wollte, ist, tut mir leid, wenn ich es vermasselt habe.«
Vermasselt? Oh ja, das hast du.
Für ein paar Minuten in acht schrecklichen Monaten hatte ich mein Gesicht vergessen und mich einfach nur gefreut, mit Raggs draußen zu sein. Und dann hatte er mir das Gefühl gegeben, wie eine hässliche Missgeburt auszusehen. Stimmte ja, aber ich wollte nicht daran erinnert werden.
Ich zwinkerte heftig und öffnete mein Buch, in der Hoffnung, dass er verschwinden würde.
»Ist das Buch gut? Hast du schon mal was von dem Autor gelesen?«
Ich zuckte mit den Schultern, weil ich nicht in der Lage war, etwas zu sagen. Und wenn ich es gekonnt hätte, hätte ich nicht gewusst, was. Abgesehen von Charlie war das der erste Junge, der seit dem Unfall mit mir redete. In der Schule ging ich ihnen aus dem Weg und selbst vor dem Unfall wäre ich diesem Typen gegenüber schüchtern gewesen. Von Nahem betrachtet war er noch süßer – der zog die Mädchen sicher an wie ein Magnet. Meine Haut juckte vor Nervosität, weil er mir so nah war und weil seine Augen auf meinem Gesicht ruhten.
»Ich habe ein paar von ihm gelesen. Sind nicht schlecht. Ein bisschen langatmig vielleicht.« Der Junge lachte. »Tja, bist du oft hier?«
Ah, jetzt hatte ich es kapiert. Darum redete er mit mir. Weil ich eine Witzfigur war. Eine einzige, verdammte Witzfigur. Sprich mit der Missgeburt und lach dich hinter ihrem Rücken über sie kaputt.
Ich sprang auf. »Hau ab!«
»Hey, was ist denn los? Ich war –«
»Hau ab!«
Die Leute drehten sich zu uns um, und ich musste heulen vor Scham, als sie mich anstarrten. Als er mich anstarrte.
Ich rannte zu Mum.
Sie eilte schon auf mich zu, als ich in den Gang stürzte. »Jenna, hast du da so geschrien? Was um Himmels willen ist denn los?«
»Ich will nach Hause!
Jetzt
!«
»Beruhige dich doch. Was ist passiert?«
»Jetzt sofort!«
Aus dem Augenwinkel sah ich, wie der Junge uns beobachtete, doch er verschwand, als Mum ihre Bücher in ein Regal stopfte und mich zum Ausgang brachte.
Als wir im Auto saßen, zögerte sie. »Bist du sicher, dass du nach Hause willst?«, fragte sie. »Es ist bloß … nun ja, dein Vater hat eines seiner Treffen.«
»Ach, deshalb wolltest du mich aus dem Haus haben. Hätte ich mir denken können.«
»Schatz, ich weiß, dass es dich aufregt und –«
»Ich will nach Hause!«
Sie zuckte zusammen und legte den Rückwärtsgang ein. Während der Heimfahrt starrte ich schweigend aus dem Fenster.
Dads Treffen. Seine Aktionsgruppe. Der wundeste aller wunden Punkte. Er hatte noch nicht einmal den Anstand besessen, es mir zu erzählen. Eines Morgens hatte Dad aus Versehen die Lokalzeitung aufgeschlagen auf dem Tisch liegen lassen. Ich wollte sie gerade zusammenfalten, als mir die Überschrift auf der Titelseite ins Auge sprang:
Bürger von Strenton startet Initiative gegen Bedrohung durch leichtsinnige Autofahrer.
Ich runzelte die Stirn und setzte mich hin, um den Artikel zu lesen. Mir wurde ganz heiß, und je länger ich las, desto stärker krampfte sich alles in mir zusammen.
Der ortsansässige Geschäftsmann Clive Reed stellte seine Initiative im Parlament vor, für die er den Parlamentsabgeordneten Trevor Davies aus Whitmere gewinnen konnte.
Nach einem Autounfall, bei dem seine 14-jährige Tochter entstellt und zwei Jugendliche getötet wurden, engagiert sich Clive Reed aktiv im Kampf gegen leichtsinniges Fahrverhalten auf unseren Straßen. Dass der 18-jährige Unfallfahrer Steven Carlisle lediglich zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde, löste einen Sturm der Entrüstung aus. Umso entschlossener bemüht sich Reed nun, dem Thema landesweit Aufmerksamkeit zu verschaffen. Carlisle fuhr unter Alkohol- und Drogeneinfluss. Er verließ als freier Mann den Gerichtssaal, weil einige Mitglieder des Whitmere Rugbyklubs zu seiner Verteidigung ausgesagt und ihm einen positiven Charakter bescheinigt hatten. Carlisle erhielt lediglich ein Fahrverbot. Mr Reeds Aktionsgruppe profitierte von der allgemeinen Erregung und konnte viele Anhänger gewinnen.
David Morris, dessen Tochter bei dem Unfall ums Leben kam, hat der Kampagne seine volle Unterstützung zugesichert. »Clive hat
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