Sklaven für Wutawia / Gauner mit der 'Goldenen Hand'
Isolierflaschen-Bläser. Das gefiel ihm
nicht lange. Und so wurde er Penner.
Unter den Tippelbrüdern war er nicht
sehr beliebt. Wenn sie am Fluß, unter den Brücken, im Stadtpark, hinterm
Bahnhof oder in der ehemaligen Keramik-Fabrik zusammensaßen, gesellte er sich
manchmal dazu. Doch das ging nur, wenn er sich einkaufte: mit einer Pulle
Schnaps.
Heute spürte Weber, der von den andern
Schrumpfkopf genannt wurde, den ersten Nachtfrost in den Knochen. Stillsitzen
tat weh. Herumliegen war noch schlimmer. Also schlurfte er die Stadt ab — mal
in diese, mal in jene Richtung. Ab und zu bettelte er jemanden an. Dann sprach
er mit polnischem Tonfall — jedenfalls so, wie er sich das vorstellte — und
behauptete, er sei gerade aus Warschau eingetroffen und vor dem Kommunismus
geflohen.
Während der letzten zwei Stunden hatte
Weber 61,30 DM eingenommen. Nachher würde er sich eine Tüte mit grillfrischen
Hamburgern kaufen und drei Flaschen Rotwein.
*
„Vielleicht“, Tim grinste, „begegnen
wir diesem Dressman heute abend. Daß der nicht friert an seiner kahlen Birne!
Ich finde, der hatte ein starkes Mäntelchen an.“
„Einen Golf-Mantel“, nickte
Computer-Karl. „Mit 18 Löchern.“
Offenbar hatte Etzel sein Unwohlsein
überwunden. Er stapfte im Laub umher, kickte gegen eine dicke Kastanie und
deutete auf den Müllsack.
„Wenn ihr euch umgezogen habt, stellt
ihr euch vor. Klar?“
„Wie die Dressmen“, lachte Tim.
Er und Klößchen ließen sich von
Caroline den Hobbyraum zeigen.
Andy kam mit — als Verantwortlicher für
die Penner-Klamotten.
„Ich hoffe doch“, sagte Klößchen, „daß
du dein Mountain-Bike bis Dienstag nicht zuschanden fährst. Geh bitte pfleglich
um mit meinem künftigen Eigentum!“
„Noch hast du’s nicht“, entgegnete Andy
ohne zu lächeln. „Ich wette, daß du die Wette verlierst. Seelisch, körperlich
und magenmäßig hältst du’s nicht durch. Tim würde es durchhalten. Aber mit ihm
habe ich nicht gewettet. Hahaha, ich weiß, wie ich aus meinen 500 Mark 1000
mache — und zum Jahresende werden wir dich umtaufen. Klößchen ist dann vorbei —
Hering werden wir dich nennen.“
„Abwarten!“ rief Klößchen. Aber er war
blaß geworden.
Tim hielt sich zurück.
Ihm gefiel es zwar nicht, daß Andy
Nervenkrieg anfing und das dicke TKKG-Mitglied gemütsmäßig unterhöhlte.
Andererseits durfte er — Tim — sich nicht mit Wort oder Tat auf Willis Seite
stellen. Der Verdacht der Parteilichkeit wäre aufgekommen. Und Ehrlichkeit
sowie Fairness im Dreiklang mit Gerechtigkeit sind nun mal Tims Richtschnur.
Im Hobbyraum standen eine
vorsintflutliche Rudermaschine und ein ebensolches Stand-Fahrrad. Die Turnmatte
hatte Etzel vermutlich letztmals benutzt, als er noch in den Sechzigern war.
Tim stülpte den Sack um und schüttete
die Penner-Klamotten, alias Altkleider, auf die Matte.
„Schreck, weiche von mir!“ meinte
Klößchen. „Wenn ich den Plunder anziehe, erkennen mich meine Eltern nicht
mehr.“
Naja, dachte Tim, Andy hat
richtigerweise das Schäbigste rausgesucht. Bei der Kleidersammlung war
sicherlich auch genügend Kluft — bestens für Second-Hand-Shops. Aber das
hier...
Andy sagte, was er für wen gedacht
hatte.
Wegen der Unterwäsche und Socken ließen
Tim und Klößchen nicht mit sich reden. Jeder behielt an, was er auf dem Leib
trug.
„Es ist schlimm genug“, sagte Tim, „daß
wir vor Dienstag nicht dazu kommen, die Wäsche zu wechseln.“
Dann begann das Umziehen.
Klößchen stieg in die uralte
Kniebundhose eines Zwei-Zentner-Mannes. Bei Willi reichte sie bis zu den
Knöcheln. Ein brauner Pullover umhüllte ihn wie ein schenkellanges Mini-Kleid.
Breite, rote Hosenträger verhinderten, daß er die Hose verlor. Die Wanderschuhe
mit Ösen stammten vermutlich aus der Zeit, als man noch mit der Kutsche reiste.
Die dreiviertellange Lodenjacke paßte ihm wie ein Mantel. Knöpfe hatte sie
allerdings nicht mehr, und ein halber Ärmel fehlte. Um seinen Denkapparat vor
der Kälte zu schützen, entschied Klößchen sich für eine fellgefütterte
Fliegerhaube.
Tim trug Fallschirmspringer-Stiefel,
die längere Zeit das Spielzeug eines großen Hundes gewesen sein mußten; eine
Hose aus Bundeswehr-Beständen, ebenfalls rote Hosenträger, ein weißes
Sweatshirt mit der Aufschrift Peace ( Frieden ), darüber eine buntkarierte
Bauernweste und als äußere Hülle zwei dünne Sommermäntel — einen in Beige, den
anderen in Mittelblau. Beide waren
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