Sklavin des Herzens
Zukunft auf ihr Wohlergehen achten.«
»Danke, mein Herr.«
Mehr gab es nicht zu sagen. Omar Hassan händigte den Brief aus.
2
Meine liebste Ellen,
ich möchte mich nicht beschweren, aber Du hast meinen letzten Brief nicht beantwortet. Ist etwas nicht in Ordnung? Bist Du krank? Du weißt, wie ich mich sorge, wenn ich nichts von Dir höre. Jetzt, nachdem die Trauerzeit Deiner Nichte beendet ist, mußt Du doch sicher Gesellschaften geben. Ich hatte einen sehr interessanten Brief mit vielen Neuigkeiten erwartet.
Chantelle lebt doch noch bei Dir, oder? Natürlich tut sie es, da sie nicht bei denen ist. Sicher hast Du keine Zeit zu schreiben, weil Du voll damit beschäftigt bist, Chantelle auf die Ballsaison vorzubereiten. Das kann ich verstehen. Sie ist so ein entzückendes Mädchen. Alle begehrenswerten Männer der Region müssen ihr ja nachlaufen. Gibt es begehrenswerte Männer bei Euch? Ach, es ist egal, meine Liebe. Jedenfalls haben wir hier in London eine genügende Auswahl für sie, wenn sie herkommt. Ich kann es kaum erwarten, Dich und die liebe Chantelle wiederzusehen.
Du kennst den Mann meiner Tochter …
Ellen Burke ließ den Brief auf ihren Schoß sinken und rieb sich die Augen. Es war so ermüdend, Marge Creaghs Episteln zu lesen. Ellen wußte nicht, wie die Frau es schaffte, jedesmal zehn bis zwölf Seiten reinen Unsinns zu schreiben. Dabei mußte man bedenken, daß ein vor fünfundzwanzig Jahren gemeinsam verbrachtes Schuljahr ausreichend Anlaß gab für diese Klatschbriefe, die alle paar Monate eintrafen. Dennoch mußte Ellen sie lesen. Man konnte nie ahnen, wann Marge vielleicht mit einer nützlichen Information aufwartete.
Ellen überflog die nächsten Zeilen, bis ihr Blick an dem unterstrichenen sie hängenblieb. Es ging ihr durch den Sinn, daß sie ihre amerikanischen Vettern nie als Emporkömmlinge hätte bezeichnen dürfen, jedenfalls nicht Marge Creagh gegenüber. Nun fühlte sich Marge berufen, die amerikanischen Burkes bei jeder Gelegenheit zu verspotten. Wenn Ellen auch jedes Wort bestätigen mußte, so stand es Marge doch nicht zu, sich so auszulassen:
Ich war nicht überrascht, als sie schon früh in die Stadt kamen. Ich habe gehört, daß Dein Vetter Charles sich in den Clubs unbeliebt gemacht hat, ebenso wie sein Sohn Aaron. Es war schlimm genug, daß sie das ältere Mädchen zur letzten Ballsaison einführten, als sie alle noch – wie Du und Chantelle – in Trauer hätten sein müssen. Dieses Jahr ist es ihnen gelungen, ihr einen Sponsor zu kaufen. Ich frage mich, von wessen Geld er bezahlt wurde, nachdem wohlbekannt ist, daß Charles nur den Adelstitel Deines Bruders, nicht aber seinen Reichtum geerbt hat. Weiß Chantelle, wie sie ihr Geld vergeuden? Wie konnte Dein Bruder nur so einen heimtückischen Mann zu ihrem Vormund bestellen?
Wütend zerknüllte Ellen den Brief und warf ihn in den Papierkorb neben ihrem Stuhl. Also stimmte es, was sie schon lange geargwöhnt hatte. Charles Burke war nicht nur ein nachlässiger Vormund, er war auch noch ein Dieb. Kein Wunder, daß er ihre Briefe nicht beantwortet hatte. Er wagte es nicht.
Guter Gott, was sollten sie tun? Was konnten sie tun? Bis Chantelle heiratete oder volljährig war, gebot Vetter Charles über sie und ihr Erbe. Und da sie erst in zwei Jahren volljährig wurde und ohne Charles’ Erlaubnis nicht heiraten konnte, lag die Vermutung nahe, daß von dem bescheidenen Vermögen, das Chantelles Vater ihr hinterlassen hatte, wenig oder gar nichts übrigbleiben würde. Selbst ihr Elternhaus hatte die Verwandtschaft mit Beschlag belegt. Anstatt auf dem kleinen Besitztum in Sackville zu bleiben, war Charles mit seiner großen Familie auf den eindrucksvolleren Burkeschen Herrensitz in Dover übergesiedelt.
Glücklicherweise hatte Chantelle noch nicht den Wunsch geäußert heimzugehen. Ellen bezweifelte, daß man das junge Mädchen dort willkommen heißen würde. Nach dem Tod ihres Vaters war Chantelle bei Ellen geblieben, bis ihr einziger männlicher Verwandter mit seiner amerikanischen Familie nach England gereist war. Dann hatten die Leute sie einmal besucht, als Chantelle noch so von ihrem Schmerz überwältigt war, daß sie kaum Notiz von der Verwandtschaft nahm. Bei dem Besuch hatte Charles kein Wort erwähnt, das junge Mädchen möge nach Hause kommen.
Offenbar hielt er die gegenwärtige Regelung für ideal. Für ihn war sie das auch, denn er stellte nicht den allergeringsten Betrag für Chantelles Unterhalt zur
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