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Skorpion

Skorpion

Titel: Skorpion Kostenlos Bücher Online Lesen
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entgegengesetzter Kraft, etwas hier drin bei mir, etwas, das sich vielleicht um mich kümmerte. Also suchte ich danach, suchte nach Zeichen, Mustern, wie gesagt. Und ich brauchte nicht lange zu suchen, bis ich eines gefunden hatte – siehst du, jedes Mal, wenn ich an Elena Aguirres Kryokappe stehen blieb, jedes Mal, wenn ich in dieses Gesicht sah und mit ihr sprach, fühlte ich mich besser. Ziemlich bald ging diese Vorstellung in das Gefühl über, beschützt zu werden, und ziemlich bald danach kam ich zum Entschluss, dass Elena Aguirre auf die Felipe Souza gebracht worden war, um über mich zu wachen.«
    »Aber sie war«, Sevgi gestikulierte, »eine Person. Bloß ein Mensch.«
    »Ich habe nicht gesagt, dass das irgendwie sinnvoll war, Ertekin. Ich habe gesagt, es war Religion.«
    »Ich hätte geglaubt«, meinte sie ernst, »dass Dreizehner zum religiösen Glauben außerstande sind.«
    Bei Ethan war das bestimmt so gewesen. Sie erinnerte sich an sein nicht im Geringsten neugieriges, unterdrücktes Gähnen, sein Unverständnis, wenn sie über das Thema zu reden versuchte, als ob sie irgendein Zaunspringer aus Jesusland wäre, der auf seiner Türschwelle stand und versuchte, ihm etwas sinnlosen Ramsch zu verkaufen.
    Marsalis starrte in den blauen Schimmer der Anzeigen am Armaturenbrett. »Ja, es heißt, dafür seien wir nicht gepolt. Etwas im frontalen Cortex, derselbe Grund, weshalb wir keinen guten Orientierungssinn haben. Aber wie gesagt, da draußen war’s ziemlich schlimm. Du steckst in der leeren Dunkelheit fest, suchst nach Absicht, wo es bloß Zufall gibt. Fühlst dich machtlos, weißt, dein Überleben hängt von Faktoren ab, die du nicht kontrollieren kannst. Sprichst mit schlafenden Gesichtern oder mit den Sternen, weil es dich fertig macht, mit dir selbst zu reden. Ich verstehe nichts von dem Argument mit der kortikalen Polung, ich kann dir lediglich sagen, dass es sich für ein paar Wochen an Bord der Felipe Souza so anfühlte, als hätte ich eine Religion.«
    »Was hat sich also geändert?«
    Erneut zuckte er mit den Schultern. »Ich habe aus dem Fenster gesehen.«
    Wieder Schweigen. Ein weiterer Transporter brummte vorbei, stieß sie mit seinem Fahrtwind zur Seite. In seinem Kielwasser schaukelte der Jeep, abgetrieben in der Nacht.
    »Die Souza hatte Sichtfenster in das untere Frachtdeck eingelassen«, sagte Marsalis langsam. »Ich bin manchmal dorthin, habe den N-Dschinn dazu gebracht, die Schilde zurückzuschieben. Du musst die Innenbeleuchtung abschalten, bevor du etwas sehen kannst, und selbst dann…«
    Er sah sie an und öffnete die Hände.
    »Da draußen ist nichts«, sagte er schlicht. »Keine Bedeutung, kein besorgtes Auge. Nichts, das dich bewacht. Nur leerer Raum und, wenn du weit genug fährst, ein Bündel Materie in Bewegung, das dich umbringen wird, wenn es kann. Sobald du das gefressen hast, geht’s dir gut. Du hörst auf, etwas Besseres oder Schlimmeres zu erwarten.«
    »Das ist also deine allgemeine Philosophie, nicht wahr?«
    »Nein, das ist das, was mir Elena Aguirre gesagt hat.«
    Einen Augenblick lang war sie völlig verblüfft. Es war wie einer jener Momente, wenn jemand sie aus heiterem Himmel auf Türkisch ansprach und sie nach wie vor auf Englisch funktionierte und die Worte, die sie gehört hatte, nicht verarbeiten konnte.
    »Bitte?«
    »Elena Aguirre hat mir gesagt, ich solle aufhören, diesen ganzen Scheiß zu glauben und mich dem entgegenstellen, was ich draußen vor dem Fenster sehen könne.«
    »Willst du mich veräppeln?«, fragte sie ihn angespannt.
    »Nein, ich veräppele dich nicht. Ich erzähle dir, was mir widerfahren ist. Ich stand an jenem Fenster, hatte die Beleuchtung abgeschaltet, sah hinaus, und ich hörte Elena Aguirre hinter mich treten. Sie war mir hinab ins Ladedeck gefolgt, und sie stand dort hinter mir in der Dunkelheit. Atmete. Sprach mir ins Ohr.«
    »Das ist unmöglich!«
    »Ja, das weiß ich.« Jetzt lächelte er wirklich, aber nicht zu ihr. Erneut sah er in die Lampen vom Armaturenbrett, die Augen blind, reingewaschen vom blauen elektrischen Schimmer. »Sie hätte ihr Tankgel über das ganze Deck gekleckert, nicht wahr? Ganz zu schweigen davon, dass sie jede Alarmsirene auf dem Schiff in Schwung gesetzt hätte, gleich nachdem sie aus dem Tank geklettert wäre. Ich meine, ich weiß nicht, wie lange ich wie erstarrt am Fenster gestanden habe, nachdem sie verschwunden war, da draußen neigt man dazu, den Sinn für die Zeit zu verlieren, und ich hatte

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