Skorpion
Versprecher unterlaufen.«
»Das heißt Arequipa, stimmt’s?«
»Ja. Wir könnten die Nacht durchfahren und wären morgen früh da.«
»Und wären etwa annähernd so groggy wie Jurgens. Nein, danke. Ich schlafe heute Nacht in einem Bett.«
Marsalis zuckte mit den Achseln. »Wie du willst. Nur, wir verschwinden von der Bildfläche, wenn wir die Straße nehmen. Die Chancen stehen gut, dass Manco jemanden am Flughafen deponiert, der nachsieht, wann wir verschwinden und wohin wir verschwinden. Und wenn er mitbekommt, dass unser Ziel Arequipa ist… nun ja, man muss kein Genie sein, um herauszubekommen, was wir dort wollen.«
»Du glaubst, er wird versuchen, uns gewaltsam an einem Besuch bei Jurgens zu hindern? Du glaubst, er wird das Risiko bei akkreditierten COLIN-Repräsentanten eingehen?«
»Ich weiß es nicht. Vor ein paar Stunden hätte ich die Frage verneint. Aber du bist dort gewesen, als diese eineiigen Zwillinge nervös geworden sind. Was sollte denn deiner Ansicht nach passieren?«
Lange Pause. Sevgi rekapitulierte in Gedanken die Ereignisse, wie zum Beispiel ihre Reaktion auf den Beinahe-Zusammenstoß vor wenigen Minuten, den jähen Schweiß, der in den Poren geprickelt hatte, als sich die Gorillas der familia gerührt hatten, die Woge von Adrenalin in ihren Eingeweiden und oben an den Innenseiten ihrer Arme. Es hatte sie bewusste Willenskraft gekostet, die Hand vom Kolben ihrer Waffe fern zu halten, und sie hatte Angst gehabt, weil sie zu lange draußen gewesen und ihre Urteilskraft vielleicht eingerostet war und sie ihr nicht mehr vertrauen konnte. Angst, weil sie nicht wusste, ob sie schnell genug gewesen wäre oder alles einfach nur in den Sand gesetzt hätte.
Sie seufzte.
»Okay.« Sie sank in ihren Sitz zurück, hämmerte mehrmals gereizt mit dem Ellbogen in das Polster. »Inshallah, wir können einen halbwegs gescheiten Liegesitz aus diesen Dingern machen.«
Dann schraubte sie ihre Stimme lauter, für den Jeep.
»Kurskorrektur. Langstrecke, Arequipa.«
Auf den Displays erwachten Zeichen.
»Diese Fahrt wird bis zu den frühen Stunden des morgigen Tags dauern«, berichtete ihr Asia Badawi kühl.
»Ja, verdammt, was du nichts sagst!«
30
Im Zentrum Cuzcos herrschte dichter Verkehr, größtenteils gelenkt von Menschen. Keine Zusammenarbeit, kein Überblick – durch den Spätnachmittag tönte gereiztes Hupen, und die Schlangen reichten bis über die Kreuzungen. Fahrer gingen bis an die äußerste Grenze bei ihren Duellen, die sie um Fahrspurwechsel oder das Einordnen in den fließenden Verkehr führten. Fenster glitten herab, um leichter Beschimpfungen hinausschreien zu können, aber die meisten Leute saßen einfach starr hinter dem Steuer und sahen nach vorn, als ob sie durch schiere Willenskraft eine Vorwärtsbewegung hervorrufen könnten. Dazu hupten sie unermüdlich, frustriert. Inmitten des Ganzen standen Verkehrspolizisten, hielten die Arme hoch, als steckten sie im Sumpf fest, gestikulierten wie wahnsinnige Orchesterdirigenten und bliesen unermüdlich auf Trillerpfeifen, ohne jeden erkennbaren Effekt. Vielleicht, dachte Sevgi säuerlich, wollten sie vom allgemeinen Lärmen nicht ausgeschlossen bleiben.
Der Jeep war ein Standardmodell aus dem Wagenpark. Seine automatisierten Systeme, heruntergeschraubt zu einer geduldigen Rücksichtnahme, konnten hier nicht mithalten. Nachdem sie an einer besonders wild umkämpften Kreuzung – der Uhr am Armaturenbrett zufolge – zwölf Minuten lang festgesteckt hatten, rückte Marsalis in seinem Sitz zurecht.
»Möchtest du fahren?«
Sevgi blickte düster auf die Kette von Metall, das nahtlos Heck an Front stand und in die sie einzubrechen versuchten.
»Eigentlich nicht.«
»Was dagegen, wenn ich fahre?«
Die Ampel sprang auf Grün um, und der Laster, der die Kreuzung blockierte, kroch weiter. Der Jeep ruckte einen halben Meter vor und kam ebenso ruckartig wieder zum Stehen, als die Fahrzeuge hinter dem Lastwagen das lose Ende der Kette wieder straffen wollten. Die Öffnung verschwand.
Hinter ihnen drückte jemand auf die Hupe.
»Ah, ja.«
Es war der nüchterne Tonfall, der ihre Reaktionen verlangsamte. Ehe sie begriff, was eigentlich los war, hatte er die Beifahrertür geöffnet und sich auf die Straße geschwungen. Das Hupen wiederholte sich. Er sah sich nach dem Fahrzeug hinter ihnen um.
»Marsalis, nicht…«
Aber er war bereits verschwunden, war auf dem Weg zum Auto hinter ihnen. Sie verdrehte sich auf dem Sitz, sah ihn
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