Skorpion
das Fahrzeug erreichen, zwei Schritte nach oben nehmen und über die Motorhaube steigen – sie hörte jedes Mal den Knall, wenn er den Fuß niedersetzte –, um dann leichtfüßig neben dem Fenster auf der Fahrerseite herabspringen. Das Hupen hörte abrupt auf. Einen Moment lang stützte er sich gegen das Fenster, und sie glaubte, ihn hineingreifen zu sehen, war sich jedoch nicht sicher.
»Ah, Scheiße!«
Sie überprüfte die Waffe in ihrem Holster, war dabei, sich umzudrehen und die Wagentür zu öffnen, als er neben ihrem Fenster auftauchte. Sie kurbelte es herab.
»Was, zum Teufel, tust du…«
»Rutsch rüber!«
»Was hast du gerade gemacht?«
»Nichts. Rutsch rüber, ich werde von Hand lenken.«
Sie warf einen weiteren Blick zurück auf das Fahrzeug hinter ihnen, konnte allerdings durch die getönte Windschutzscheibe nichts weiter erkennen. Einen Augenblick lang öffnete sie den Mund zum Streiten. Sah die Ampel für sie wieder auf Grün springen und schüttelte erschöpft und resigniert den Kopf.
»Was soll’s.«
Carl schaltete die Automatik ab und den Antrieb ein und ließ den Jeep heftig nach vorn rollen, wobei er eine schmale Öffnung im gegenüberliegenden Fluss anpeilte. Er brachte die Kante des Jeeps hinein, winkte lässig dem Fahrzeug seinen Dank zu, das er gerade geschnitten hatte, und manövrierte sie dann in den Spalt, als er sich öffnete. Sie passten sich dem Verkehrsfluss an und krochen einige Meter von der Kreuzung weg. Sie sah ihm ins Gesicht und entdeckte, dass er sanft lächelte.
»Hat dir das gefallen?«
Er zuckte mit den Schultern. »Brachte eine gewisse innerbetriebliche Befriedigung.«
»Ich dachte, der Sinn darin, die Straße zu nehmen, wäre der, unauffällig zu bleiben. Wie kriegst du das damit zusammen, dass du dich den ganzen Weg durch die Stadt auf Auseinandersetzungen einlässt?«
»Ertekin, das war keine Auseinandersetzung.« Er sah zu ihr hinüber, ihr in die Augen. »Wirklich. Ich habe dem Knaben bloß gesagt, er solle das Maul halten, wir täten unser Bestes.«
»Und falls er nicht nachgegeben hätte?«
»Na ja.« Er überlegte einen Moment. »Ihr Leute gebt gewöhnlich nach.«
Sie benötigten fast eine weitere Stunde, um den südlichen Stadtrand zu durchqueren und den Highway nach Arequipa zu erreichen. Bis dahin hatte sich der Tag allmählich zur Dunkelheit verdichtet, und in den Gebäuden zu beiden Seiten der Straße gingen die Lichter an und zeigten kleine gelbliche Schnappschüsse auf das Leben der Bewohner. Sevgi sah ein Mädchen, kaum älter als neun oder zehn, das sich über die Kante der geöffneten Motorhaube eines Lastwagens beugte und hineinsah, während ein alter Mann mit einem weißen Schnauzbart an den Innereien werkelte. Eine Mutter saß rauchend auf den Stufen zum Vordereingang und beobachtete den vorbeirauschenden Verkehr, während drei kleine Kinder an ihr hingen. Ein junger Mann in einem Anzug lehnte sich in den Eingang zu einem Geschäft und flirtete mit dem Mädchen hinter der Theke. Jede Szene glitt vorüber und ließ sie mit dem enttäuschenden Gefühl zurück, dass ihr das Leben wie Sand durch die Finger rieselte.
Am Stadtrand fuhren sie zu einem Buenos Aires Beef Co und bestellten Pampaburger für unterwegs. Die Filiale stand in der weichen Dunkelheit wie ein gelandetes UFO da, hell erleuchtet von farbigen Lampen und errichtet aus einem glatten Kunststoffmodul. Auf ihrem Weg zum Jeep zurück blieb Sevgi einen Augenblick lang stehen, spürte das heiße Essen durch die Tüte an ihrer Brust. Cuzcos Teppich aus Lichtern breitete sich über das Tal aus. Ein Gefühl von Verlassenheit, das mit etwas anderem zusammenstieß, das schmerzte wie all diese vorüberstreichenden, gelb erleuchteten Augenblicke des Lebens, die sie gesehen hatte. Sie dachte an Murat, an Ethan, an ihre Mutter irgendwo dahinten in der Türkei, der Teufel mochte wissen, wo. Verstand das alles einfach nicht – nur der allgemeine Schmerz blieb.
Mit zunehmendem Alter wirst du darin vermutlich besser, Sev.
Stimmt.
Marsalis tauchte hinter ihr auf und schlug ihr auf die Schulter. »Alles in Ordnung?«
»Ja«, log sie.
Am Jeep angekommen, setzte er sich hinters Steuer und schaltete dann auf Autopilot. Sevgi war verblüfft. Ethan hätte selbst gelenkt, bis ihm die Augen zugefallen wären.
»Du willst nicht mehr fahren?«
»Sinnlos. Wird dunkel da draußen werden, und ich spreche nicht dieselbe Sprache wie die meisten der überlangen Transporter.«
Womit er recht hatte. Als
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