Skorpion
durchführen, bei denen man den Leichnam dazu veranlassen konnte, mit einem zu sprechen.«
»Meine Güte, wessen verfluchte Idee war das denn?« Aber es war geistesabwesend dahingesagt. Marsalis kniete neben der Leiche, die Brauen zusammengezogen.
»Ich weiß es nicht. Irgendein Datenfuzzi mit zu viel Zeit, der nach was Kreativem gesucht hat. Die rationale Begründung lautete, dass es dazu da war, eine Desensibilisierung zu verhüten. Sollte einem vermutlich die Tatsache ins Gedächtnis zurückrufen, dass das einmal ein lebendiger, atmender Mensch war.«
»Genau.« Er nahm eine Hand der toten Frau, die locker zusammengekrümmt herabgefallen war, und hob sie sanft an. Er schien ihr die Finger zu streicheln.
Sevgi hockte sich neben ihn. »Na ja, damals hatten sie bereits die Modelle, wo man das Opfer vom Augenblick des Todes zurückspulen konnte. Es stand wieder auf und durchlief die wahrscheinliche Sequenz der Ereignisse. Vermutlich war das keine große Überbeanspruchung.«
Er wandte sich ihr zu, der Ausdruck jäh verschlossen. »Können wir das hier auch?«
»Wollen Sie?«
Ein weiteres Achselzucken. »Wir müssen Zeit schinden, nicht wahr?«
»Na gut. Cranston?«
Das ’face löste sich ganz undramatisch auf der anderen Seite des Zimmers aus den Schatten, wie ein Foto aus der Zeit vor der Jahrtausendwende, das chemisch entwickelt wurde. Sevgi hatte so etwas einmal auf einem Seminar gesehen.
»Was kann ich für Sie tun?«
Sevgi stand auf und winkte. »Können Sie das Modell des Verbrechens für uns ablaufen lassen? Nur die letzten paar Minuten.«
»Kein Problem. Sie müssen ins vordere Zimmer durchgehen, dort hat es anscheinend angefangen. Ich werde das System jetzt einschalten. Möchten Sie Ton?«
Sevgi, die schon viel in der Art gesehen hatte, schüttelte den Kopf.
»Nein, nur die Bewegungen.«
»Wenn Sie mir dann bitte folgen würden!«
Entnervend, dass der Streifenpolizist direkt durch die Wand trat. Sie ließen die Leiche zurück und nahmen die konventionellere Route durch die verbindende Tür zum vorderen Zimmer, wo Cranston wartete. Als sie eintraten, verdunkelte sich der Himmel draußen vor dem Fenster jäh zur Nacht, und die Vorhänge zogen sich wie von Geisterhand bewegt teilweise zu, wie ein billiger Horroreffekt. Eine unversehrte Ausgabe von Toni Montes war die Geisterhand – sie materialisierte sich mitten im Zimmer, die Füße steckten immer noch in mintgrünen und cremefarbenen Pantoffeln, passend zu den Farben ihres Rocks und der Bluse. Ihr Make-up war unversehrt, und sie wirkte unmöglich gefasst.
Einen Schritt von ihr entfernt skizzierte das System den Täter.
Es war der schwarze Umriss eines Mannes, eine Gestalt mit den glatten, charakterlosen Zügen und dem standardisierten Körper einer anatomischen Skizze, ausgeführt in Pechschwarz. Aber die Gestalt atmete, sie schwankte leicht, sprang Toni Montes an und traf sie mit einem wilden Schwinger. Das Abbild der Frau flog lautlos nach hinten, stolperte und fiel auf das Sofa. Ein Pantoffel löste sich, sauste absurd in die Höhe und landete auf der anderen Seite des Zimmers. Die schwarze Gestalt folgte Montes, packte sie an der Kehle und schlug ihr ins Gesicht. Sie zappelte hilflos und sackte in sich zusammen. Der andere Pantoffel löste sich. Sie schob sich über das Sofa weg und kam stolpernd auf die Beine, während die schwarze Gestalt dastand und mit roboterhafter Ruhe zuschaute. Als Montes wieder auf den Beinen war, trat die Gestalt erneut heran und boxte sie hoch oben auf die Brust. Sie flog zurück gegen die Vorhänge, rollte herum und kam stolpernd hoch. Sie hieb mit den Fingernägeln nach ihm und erhielt dafür einen Rückhandschlag, der sie quer durch das Zimmer schleuderte. Die Kante der offenen Tür zum Flur erwischte sie im Rücken. Diesmal ging sie zu Boden und blieb auch dort.
Die schwarze Gestalt stolzierte hinter ihr her.
»An diesem Punkt«, erklärte das ’face, »schätzt das Modell, dass der Killer Montes gezwungen hat, ins andere Zimmer zu gehen. Dort hat er sie gegen die Wand geschleudert und sie durch den Kopf geschossen. Gründe für diese Veränderung der Taktik werden immer noch gesucht. Vielleicht hatte er Sorge, dass der Mord durch die Fenster zur Straße zu sehen wäre.«
Die schwarze Gestalt beugte sich über Montes und zog sie am Haar hoch. Sie nagelte ihr die Arme im Kreuz fest und schob die Frau, die dagegen ankämpfte, durch die Verbindungstür ins andere Zimmer. An der Türschwelle erstarrten
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