Skorpionin: Odenwal - Thriller (German Edition)
sollte. Er hob die Haube und schüttete den Skorpion samt der Garnitur aus Salat und Früchten in die fauchende Nacht. Den Teller behielt er in der Hand.
„Den werf’ ich ihm nicht hinterher. Meißner. Ist zu schade für so einen. Kein Stil, der Mann.“
Gemeinsam schlossen sie die Tür und legten den massiven Sicherungshebel um. Schlagartig kehrte fast unwirkliche Ruhe in der Kabine ein. Nur die nassen Wände und feuchte Stellen im dichten Teppichboden zeugten von dem seltsamen Begräbnis.
Susan griff zum Interkom: „Cabin clear.“
„Roger“, kam es knapp zurück. Das Summen der Triebwerke veränderte sich, die Maschine begann spürbar zu steigen, gleichzeitig verschwand das unstete Rütteln und leichte Gieren um die Längsachse, das der extrem langsame Flug verursacht hatte. Nach wenigen Minuten lag die G550 wieder ruhig in der Luft.
Kapitän Shaw meldete das erfolgreiche Manöver an Stanwick Ocean Control und bat um die Erlaubnis auf Reiseflughöhe zu gehen.
Schimmernd und mit blitzenden Stroboskoplichtern glitt die pfeilschnelle Maschine durch die sternklare Nacht.
Zwölftausend Meter unter ihr wogten die Wassermassen des Nordatlantik. Das Bündel, welches taumelnd in Richtung des an dieser Stelle bis zu dreitausend Meter tiefen Meeresbodens sank, würde in den nächsten Minuten von dem ungeheuren Wasserdruck zu einer foliendünnen Masse gepresst werden. Die Steine nicht. Sie würden in der ewigen Finsternis auf dem Grund des Ozeans im Schlick versinken. Raimund Konen würde von der Natur schlicht in die reichhaltige Nahrungskette dieser Gewässer eingegliedert werden. Raimund Konen gab es nicht mehr.
Epilog
Sie konnte es erwarten. Geduld war schon immer eine ihrer Stärken gewesen. Weder malte sie Striche an die Wand der Zelle, noch hakte sie die Tage in ihrem Kalender ab. Sie arbeitete in der Gefängniswerkstatt wie immer, sie sprach mit den Mitgefangenen in ihrer Betreuungsgruppe, sie war freundlich, korrekt und niemals schlecht gelaunt. Warum auch? Schließlich lief alles nach Plan. Der fiese kleine Erpresser, der sie damals so erschreckt hatte, stellte keine Gefahr mehr dar. Niemand hatte eine Vermisstenanzeige aufgegeben. Sollte es tatsächlich irgendwo jemanden geben, dem sein Verschwinden aufgefallen war, so hielt derjenige es wohl nicht für nötig, diesen Umstand irgendeiner Behörde zu melden. Wahrscheinlich hatten ihre Leute einer ganzen Menge Menschen einen Gefallen getan, indem sie den Kerl sang und klanglos ins Jenseits beförderten.
Glimm hatte gute Arbeit geleistet. Wieder einmal. Der Mann war ein Glücksgriff. Ohne ihn und seine Verbindungen hätte sie noch einige Jahre hier die gute Seele geben müssen. Doch nun war es offiziell: In sieben Wochen würden sich die Türen der JVA Schwäbisch-Gmünd für sie öffnen. Vorzeitige Entlassung ohne jegliche Auflagen. Die Presse ahnte nichts. Alle hielten sie dicht. Das Geschrei der Moralisten würde noch früh genug durch die selbstgerechte Republik schallen.
Sie freute sich auf die Sonne Kaliforniens. Stephan Glimm hatte den Ertrag von Anna’s Vineyard um fast dreißig Prozent gesteigert. Er hatte einen Kellermeister aus der Pfalz eingestellt, der wahre Wunderdinge vollbrachte. Er hatte Weinlagen aufgegeben und neue hinzugewonnen. Er hatte zwar nicht wirklich viel Ahnung vom Weinbau, aber er hatte einen ausgeprägten Geschäftssinn und eine gute Nase für die richtigen Mitarbeiter. Die Bilanzen glänzten wie poliertes Gold. Anna-Sophia Barlow war zufrieden.
Sie würden in der winzigen weißen Kapelle oberhalb von Greenbow heiraten. Der alte Reverend Abel Finch würde ihnen den Segen erteilen. Es würde eine hübsche kleine Zeremonie werden. Nur das Brautpaar und der weißbärtige Gottesmann.
Wenn Finch glücklich die Flasche Single Malt unter dem Sitz seines klapprigen 63er Chevy-Apache verstaut hätte, und in einer roten Staubwolke verschwunden wäre, würden sie gemeinsam den Sonnenuntergang genießen und anschließend nach Hause fahren. Niemand würde Annas Hochzeitsnacht stören. Die Angestellten hätten frei, die Telefone würden abgestellt werden, der Wein wäre wohltemperiert.
Sie würde ein exklusives Dinner vorbereiten. Ein Dinner für zwei …
Danach würde sie die Abstinenz der letzten Jahre in einer noch nie da gewesenen Nacht ausleben. Auf diese Nacht freute sie sich seit ihrer Überstellung in die JVA Gotteszell. Alles hatte sie abgewiesen: die Annäherungsversuche einiger Mitgefangener, das unverhohlene Angebot
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