Skorpionin: Odenwal - Thriller (German Edition)
ehemaligen Kaserne ablichteten.
Abends saß man gemeinsam um die große Feuerstelle im windgeschützten Innenhof der Ruine. Al erzählte von seinen Erlebnissen als Kriegsfotograf im nahen Osten und seiner zweimaligen Teilnahme an der Rallye Paris-Dakkar, wobei er seine Augen nicht von Annika ließ.
Sie hatte bereits während der Fotoaufnahmen sein Interesse bemerkt und baute den hageren Fotografen geschickt in ihren Plan ein. Ein Mann, der die Wüste wie seine Gürteltasche kannte. Der unabhängig war und der, nun ja, auf eine verdammt attraktive Art hässlich war. Gut zu gebrauchen, so einer. Flexibel einsetzbar, hilfreich und nützlich, sollte sie einmal hier in diesem Sandkasten ein Alibi benötigen.
Das Team würde noch drei Tage hier verbringen. Morgen träfen neue Klamotten aus Mailand ein und Tolga wollte auf einen Sprung vorbeischauen. Dann gäbe es wohl auch eine Gelegenheit, die legendäre Katy Rowland etwas näher zu beschnuppern.
„Kennst du die Wüste bei Nacht?“, baggerte Al und rückte etwas näher zu Annika.
„Saukalt.“
„Saukalt, samtblau und zum Sterben schön.“ Sterben. Genau. Der Mann war ein lebendes Orakel.
Annika ließ sich gegen seine Schulter sinken und starrte sinnend ins Feuer. „Zeig mir deine Wüste.“
„Jetzt gleich?“
„Ja.“
Das sonore Wummern des großen Zweizylinders wurde rasch leiser, als die schwere Maschine in Richtung Norden das Lager verließ. Annika schmiegte sich eng an den Fahrer. Al hatte ihr eine viel zu große Lederjacke gegeben. Die Hitze des Boxermotors wärmte ihr angenehm die Knöchel. Erst als auch der letzte Lichtschein am Horizont versunken war, stoppte Al das Motorrad auf dem Kamm einer gewaltigen Düne. Am Himmel stand eine schmale Mondsichel und die Sterne sahen aus wie dicke Stahlnieten. Annika fröstelte und Al legte den Arm um ihre Taille.
„Lass uns ein paar Aufnahmen machen.“
„Ich habe keine Klamotten dabei.“
„Eben …“
„Es ist kalt.“
„Ich wärme dich.“ Sein Atem roch leicht nach Knoblauch, seine Bartstoppeln kratzten und seine Augen blitzten mit den merkwürdig greifbaren Sternen um die Wette.
Als sie nach kurzem, rauschhaften Wälzen, Umklammern, Stöhnen und ineinander Kriechen entspannt auf dem Rücken lagen, erhob sich Al, tappte zur Maschine und kramte in einer der großen Aluminiumboxen am Heck des Motorrads. Er kam mit einer Kamera in der Hand zurück. Annika machte eine abwehrende Handbewegung, aber der Fotograf nahm ihre Hände, küsste sie und schaute ihr tief in die Augen.
„Es verfliegt so schnell“, flüsterte er, „Ich will den Augenblick nutzen.“
„Was verfliegt?“
„Die überirdische Schönheit deines Gesichts unmittelbar danach. Verstehe mich nicht falsch. Du bist immer schön. Mehr als andere. Mehr als Sophia, die viel Arbeit in die Ähnlichkeit stecken muss, aber ich will diesen Augenblick. Ich jage ihn, seit ich Menschen fotografiere.“
„Ach deshalb hast du mich hier raus geschleppt.“ Annika spielte die Beleidigte, genoss aber insgeheim die Anspielung auf Sophia.
Al zückte die Kamera. „Wenn wir zu lange warten, müssen wir noch mal …“
Annika spürte die Kälte kaum. Der Wind trocknete den Schweiß ihrer kurzen Ekstase, ihr Herz klopfte und sie folgte den halblauten Anweisungen des Fotografen. Sie tanzte im blausilbernen Glanz der Wüstennacht wie eine Elfe aus einem Fantasy-Roman. Der Motor der Kamera sirrte, der Verschluss klickte, bis sie schließlich beide erschöpft im Sand saßen.
„GEtTO wird nicht viel dafür zahlen“, sagte sie lächelnd, „Das Kleid hat jeder im Schrank.“
„Aber nur die wenigsten können es tragen.“
„Was machst du mit den Bildern?“
„Ich übergebe sie einem Anwalt und wenn du später ein Weltstar bist, erpresse ich dich damit und werde stinkreich.“
„Dann töte ich dich. Ich bin Skorpion.“
„Tatsächlich? Hast du Angst vor ihnen? Den echten, den Krabblern, meine ich?“
„Hast du Angst vor mir?“ Sie verschloss seine Lippen mit ihrem Mund, ihre Zungen neckten, kämpften, rangen miteinander.
Als sie zum zweiten Mal in dieser Nacht heftig atmend nebeneinander im Sand lagen, ergriff Al als Erster das Wort.
„Willst du sie tanzen sehen?“
„Wen?“
„Die blauen Skorpione. Sie führen Paarungstänze auf. Vielleicht haben wir Glück. Ich weiß, wo man sie findet.“
Sie fuhren auf ein steiniges Plateau ganz in der Nähe. Al stellte die Maschine mit eingeschaltetem Scheinwerfer ab und schwenkte den Lenker.
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