Slow Travel: Die Kunst Des Reisens
auf dem Weg zur sowjetischen Grenze gut behandelt wurden.
Nachdem sie 40 Tage durch Russland gewandert waren, kamen sie in ein armenisches Dorf und begegneten zwei Frauen, die in einer Teefabrik arbeiteten. Als sie von der Pilgerfahrt hörten, verschwand eine der Frauen und kam mit vier Teepäckchen zurück. Sie sagte: »Sie sind nicht für euch. Bitte gebt eins unserem Staatsoberhaupt in Moskau, eines dem französischen Präsidenten, eines dem englischen Premierminister und eines dem Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika« und beschwor sie, den Führern der Welt auszurichten, wenn sie jemals daran dächten, den roten Knopf zu drücken, sollten sie innehalten, eine Tasse Tee trinken und sich an all die einfachen Leute auf der Welt erinnern, die »Brot brauchen, keine Bomben«.
Über Brot hörte ich Kumar im Radio sprechen. Er erklärt damit seine Philosophie, dass alles im Leben besser wird, wenn man bereit ist, Zeit dafür zu opfern. Man kann den Backvorgang genauso wenig beschleunigen wie das Verfassen von Gedichten. Wenn man bereit ist, diese Wahrheit zu erkennen, wird einem klar, dass sie für alles gilt, was im Leben wichtig ist. Freundschaften, Beziehungen, Erziehung, alles, was man mit eigenen Händen baut oder pflanzt, und natürlich das Reisen. Zeit ist wertvoller, als Geld es jemals sein könnte, und dennoch werden wir ständig dazu angetrieben, uns zu beeilen und dem Reichtum nachzujagen. Wenn man über sein Leben als Ganzes nachdenkt, dann besteht der ultimative Akt der Großzügigkeit darin, jemandem seine Zeit zu schenken.
Die Behörden nötigten Kumar und Prabhakar schließlich dazu, einen Flug nach Moskau zu nehmen, denn es machte sie nervös, dass zwei Friedensaktivisten durch die sowjetischen Dörfer pilgerten. Die beiden protestierten zwar, kamen aber letztlich zu dem Schluss, dass sie mehr erreichen würden, wenn sie ihre Pilgerfahrt durch Europa fortsetzten, anstatt in einem sowjetischen Gefängnis festzusitzen. Nachdem sie Polen durchquert hatten, erreichten sie die Grenze zur DDR, kurz bevor Präsident Kennedy Westberlin besuchte. Sie wurden von deutschen und russischen Soldaten verhört – Kumar erinnert sich daran, wie die Männer »mechanisch und gefühllos« ihre Pflicht taten. Nachdem sie sich mit grimmigen Gesichtern die Abenteuer der Pilger angehört hatten, platzte einer von ihnen heraus: »Ihr habt recht. Wir finden keine Ruhe, weder hier noch zu Hause. Wir sehnen uns nach dem Tag, an dem wir unsere Waffen wegwerfen und mit euch für den Frieden kämpfen können.«
Sie kamen schließlich doch ins Gefängnis, als sie Paris erreichten und an einer Demonstration gegen Nuklearwaffenteilnahmen, die vor dem Élysée-Palast stattfand. Ihre Zelle war so verdreckt, dass sie drei Tage lang in Hungerstreik traten. Sie hatten 16 Monate gebraucht, um nach Paris zu wandern, und jetzt wollte die französische Regierung sie ausweisen und innerhalb von 16 Stunden per Flugzeug zurück nach Delhi transportieren. Schließlich willigten sie ein, sich nach Dover bringen zu lassen. Von dort aus wanderten sie nach London, wo sie umgehend von einem Wagen nach Snowdonia gebracht wurden, um Bertrand Russell zu treffen, der sie zu ihrer Reise inspiriert hatte.
Kumar war sehr beeindruckt und erinnert sich an Russell als »klein von Statur, aber eine große Persönlichkeit, alt an Jahren, aber jung, was den Mut angeht, schwach in den Gliedern, aber stark im Handeln …«. Russell interessierte sich dafür, wie sie nach Washington gelangen wollten, und organisierte eine Spendenkampagne, um ihnen zwei Tickets für eine Überfahrt auf der luxuriösen Queen Mary zu kaufen. Kumar notierte: »Dank Vinoba Bhaves Waffen konnten wir stilvoll reisen.«
Sie wanderten von London nach Southampton und schifften sich am 22. November 1963 nach Amerika ein. An diesem Tag wurde Präsident Kennedy ermordet, und die 13 000 Kilometer lange Pilgerfahrt, die an Gandhis Grab begonnen hatte, endete über ein Jahr später, im Januar 1964, an Kennedys Grab in Arlington, Virginia.
In seinem Buch beschreibt Kumar die Verzweiflung, die er und Prabhakar nach ihrer Ankunft darüber empfanden, dass sie vom Grab eines Mannes, der von der Kugel eines Attentäters getötet wurde, zu dem eines anderen Mannes gewandert waren, dem dasselbe zugestoßen war. So außergewöhnlich und inspirierend ihre Reise auch gewesen war, ihre Hoffnung, die Friedensbotschaft zu verbreiten, schien gescheitert zu sein. Sie hatten ihren Tee bei den
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