Slow Travel: Die Kunst Des Reisens
vorübergehend entfliehen. Nein, es hat mehr mit der Einstellung zu tun. Vielleicht wäre »intensives« Reisen ein passenderes Synonym.
Da nun aber eine leichte Anstrengung durchaus akzeptabel ist, um dem Müßiggang etwas Würze zu verleihen, versüßt eine schwierige Reise das Vergnügen des Ankommens nur umso mehr. Ich glaube, der Hang zur Bequemlichkeit muss mit der stoischen Einsicht einhergehen, dass die Straße nicht immer eben sein wird. Ich kann mich an eine wirklich anstrengende und einsame Reise von Norddeutschland biszu einer griechischen Insel erinnern, die ich unternahm, als ich Anfang zwanzig war. Als der größte Teil der Strecke bereits hinter mir lag, saß ich in einem kleinen Hafen fest und hatte keine Ahnung, wie ich mein Ziel erreichen sollte. Ich fragte herum, doch alle schüttelten nur die Köpfe. Ich gab auf. Ich setzte mich auf meine Tasche und schlug die Hände vors Gesicht. In diesem Moment kam ein kleiner Junge auf mich zu: »Mister, Mister, der Bus nach Lefkas fährt in 20 Minuten ab.« Ich stieg in den Bus und erreichte mein Ziel, ein Strandcafé namens »Paradise«. Der Wirt brachte mir ein Bier. Ich setzte mich hin, blickte aufs Wasser hinaus, und eine unbeschreibliche Freude überkam mich. Müßiggang ist immer süß, und erst recht, wenn er wohlverdient ist.
Die wohl höchste Form des müßigen Reisens ist eine Wanderung, die man alleine unternimmt. Hier lässt sich wahre Freiheit zu einem niedrigen Preis erfahren, und man kann sich einem in Vergessenheit geratenen Zeitvertreib widmen: dem Nachdenken. Heutzutage ist das Reisen meist ausdrücklich darauf ausgelegt, jegliches Denken zu vermeiden. Flughäfen sind stiller Reflexion nicht zuträglich. Ihre erschreckend nichtssagende Architektur bietet stattdessen unzählige Ablenkungen in Form von Bildschirmen, Shops und Ansagen. Man kann sich nie wirklich entspannen oder den Moment genießen. Das Wandern jedoch bringt einen wieder in Kontakt mit dem eigenen Ich. In William Hazlitts wunderbarem Essay »On Going on a Journey« finden sich die folgenden Zeilen:
Gebt mir klaren blauen Himmel über meinem Kopf und grünes Gras unter meinen Füßen, eine gewundene Straße, die sich vor mir ausstreckt, und einen dreistündigen Marsch vor dem Abendessen – und dann geht’s ans Denken! Es fällt nicht schwer, auf dieser einsamenHeide ein Spiel zu beginnen. Ich lache, ich laufe, ich springe, ich singe vor Freude.
Wandern ist Freiheit – und man muss dazu nicht unbedingt aufs Land fahren. Auch unsere großen Städte eignen sich wunderbar dafür. Wenn ich in London bin, unternehme ich ziemlich oft einen einstündigen Spaziergang von Bayswater nach Pimlico und schlendere entlang des Serpentine Lake durch den Hyde Park und dann über den Sloane Square. Welch vielfältige Anblicke bieten sich mir dar, und wie viel Denken kann ich dabei erledigen! Und während ich wandere, sehe ich mich gerne als flâneur , jene Spezies des umherstreifenden Poeten, der im Schneckentempo durch das Paris des 19. Jahrhunderts zu schlendern pflegte. Walter Benjamin behauptete, die flâneurs hätten gern eine Schildkröte auf ihre Spaziergänge mitgenommen, weil diese behäbige Kreatur ihnen das richtige Tempo vorgab.
Robert Louis Stevenson fand, man sollte am besten alleine unterwegs sein:
Um sie tatsächlich genießen zu können, sollte man alleine auf eine Wanderung gehen. Geht man mit anderen oder auch zu zweit, ist es nur noch dem Namen nach eine Wanderung; es ist eigentlich etwas anderes und ähnelt mehr einem Picknick.
Ein Picknick ist ja auch keine schlechte Sache, aber wir verstehen, was er meint.
Es ist eine Schande, dass die Züge von Mobiltelefonen, Laptops und Bordbildschirmen erobert wurden, denn eine Zugfahrt bot früher eine wohltuende Pause von Arbeit und Ablenkung. Heute kann man vom Zug aus seine Geschäfteführen oder fernsehen, während es früher nur zwei Möglichkeiten gab: Lesen oder aus dem Fenster schauen, beides müßige Vergnügungen. Ach, Verzeihung, es gibt natürlich noch eine dritte Möglichkeit: Dösen. Im Gegensatz zu Autos begünstigen Züge das Schlummern. Natürlich ist es möglich, sich im Zug von den Maschinen abzunabeln, und wir sollten uns vielleicht dahin gehend disziplinieren, dass wir das Mobiltelefon ausschalten und den Laptop in der Gepäckablage liegen lassen.
Das Buch, das Sie lesen werden, basiert auf Dan Kierans 20-jähriger Erfahrung mit dem müßigen Reisen. Ursprünglich entdeckte er das Abenteuer des
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