Snobs: Roman (German Edition)
Vertretern des alten Adels in einer gesellschaftlich aufstrebenden Gegend regelrecht aufgezwungen.
In anderer Hinsicht hatten sie schlichtweg Glück gehabt. Dank zweier Ehen – mit einer Bankierstochter und mit der Erbin eines beträchtlichen Teils von San Francisco – war das Familienschiff sicher durchs stürmische Meer der Agrarkrise und des Ersten Weltkriegs gesteuert. Anders als viele ähnliche Dynastien hatten sich die Broughtons so gut wie alle ihre Londoner Immobilien erhalten, und dank einiger findiger Winkelzüge in Sachen Grundbesitz liefen sie unter der Regierung Thatcher in einen relativ sicheren Hafen ein. Dann formierten sich die Sozialisten neu und erlebten ihre Wiedergeburt zum großen Glück für die oberen Schichten als New Labour-Partei, die sich als erheblich entgegenkommender erwies als ihre raffgierigen politischen Ahnen. Alles in allem waren die Broughtons das Paradebeispiel für den erfolgreichen Fortbestand einer englischen Adelsfamilie. Sie hatten ihr Ansehen und, wichtiger noch, ihre Landgüter praktisch unbeschädigt in die Neunzigerjahre hinübergerettet.
Das alles stellte für die Eastons nicht das geringste Problem dar. Weit davon entfernt, den Broughtons ihre Privilegien zu missgönnen, sie vergötterten sie regelrecht. Heikel war für sie nur eins: Obwohl sie nur zwei Meilen von Broughton Hall entfernt wohnten und obwohl Isabel ihren Freundinnen beim Lunch in der Walton Street vorgeschwärmt hatte, dass »das Haus glücklicherweise praktisch nebenan« liege, hatten sie nach dreieinhalb Jahren noch keinen Fuß hineingesetzt und es noch nicht einmal geschafft, einem Mitglied der Familie gesellschaftlich zu begegnen.
Natürlich war David Easton nicht der erste Engländer aus der oberen
Mittelschicht, der entdecken musste, dass sich ein fadenscheiniger aristokratischer Hintergrund eher in London als auf dem Land hochhalten lässt. Doch nach jahrelangen Lunchbesuchen im Brooks’s, nach unzähligen Samstagen bei Rennveranstaltungen und Abenden im Annabel’s, wo er seine Vorurteile gegen die moderne, mobile Gesellschaft verbreitet hatte, hatte er völlig aus dem Blick verloren, dass er selbst ein Produkt eben jener Gesellschaft war. Als hätte er vergessen, dass sein Vater Geschäftsführer einer unbedeutenden Möbelfabrik in den Midlands gewesen war und seine Eltern ihn nur mit Mühe nach Ardingly hatten schicken können. Zum Zeitpunkt unserer Bekanntschaft wäre er wohl sehr überrascht gewesen, seinen Namen nicht im Debrett’s zu finden. Ich erinnere mich, wie ich bei den Eastons einmal einen Artikel las, in dem sich Prinzessin Margarets Geliebter Roddy Llewellyn darüber beklagte, dass er nicht wie sein älterer Bruder Eton besucht hatte, denn in Eton entstünden die Freundschaften fürs Leben. David ging zufällig an meinem Stuhl vorbei. »Sehr richtig«, sagte er. »Genauso geht es mir auch.« Ich warf einen vielsagenden Blick zu Isabel hinüber, erkannte aber an ihrem mitfühlenden Nicken, dass ihr geheimes Einverständnis nicht mir, sondern ihrem Mann galt.
Einem Außenstehenden fällt auf, dass viele Ehen deshalb gut funktionieren, weil sich die Partner gegenseitig in ihren Illusionen bestärken. Isabels liebenswerte Art und der Gleichmut der meisten Londoner Gastgeberinnen, die von ihren Gästen nichts erwarten, das über die Fähigkeit zu sprechen und zu essen hinausginge, hatten David bisher einen Schutzraum geboten. So war es jetzt umso bitterer für ihn, dass er an vornehmer Tafel über Charles Broughtons Italienreise befragt wurde, oder wie sich Carolines neuer Mann mache, um dann murmeln zu müssen, dass er sie eigentlich nicht so gut kenne. »Wie ungewöhnlich«, kam dann stets die Antwort. »Ich dachte, Sie wären Nachbarn.« Selbst Davids Eingeständnis enthielt eine gewisse Unwahrheit, denn es konnte keine Rede davon sein, dass er die Broughtons nicht so gut kannte. Er kannte sie überhaupt nicht.
Einmal hatte er auf einer Cocktailparty am Eaton Square eine Meinung
über die Familie geäußert, was sein Gesprächspartner mit der Frage quittierte: »Aber ist das da drüben nicht Charles? Sie müssen mich ihm vorstellen – ich wüsste zu gern, ob er sich daran erinnert, wo wir uns begegnet sind.« David musste plötzliche Übelkeit vorschützen (was mehr oder weniger stimmte) und nach Hause zurückkehren; so verpasste er auch noch das Dinner, zu dem sie anschließend alle eingeladen waren. In letzter Zeit nahm er eine leicht herablassende Haltung ein, wenn
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