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Snobs: Roman (German Edition)

Snobs: Roman (German Edition)

Titel: Snobs: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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dem Beifahrersitz
um und verzog den Mund zum Zeichen, dass ich es mir wohl gründlich verscherzt hätte. Mein Fehlverhalten war eindeutig, und den Rest des Wochenendes behandelte mich Isabel mit merklicher Kühle.

2
    Edith Lavery war die Tochter eines erfolgreichen Steuerberaters und Enkels eines jüdischen Einwanderers, der 1905 vor den Pogromen unter Zar Nikolaus II. nach England geflohen war. Der ursprüngliche Name der Familie war mir nicht bekannt; er lautete wohl Levy oder vielleicht Levin. Sir John Lavery, ein um die Jahrhundertwende erfolgreicher Porträtmaler, lieferte die Vorlage zur Namensänderung, die der Familie damals ratsam erschien und es mit ziemlicher Sicherheit auch war. Wurde ein Lavery gefragt, ob er mit dem Maler verwandt sei, antwortete er immer: »Ich glaube, es gibt da eine vage Verbindung«, und klinkte sich damit in die etablierte britische Gesellschaft ein, ohne fragwürdige Ansprüche zu erheben. Unter Engländern ist es ja durchaus üblich, auf die Frage, ob sie die XYs kennen, zu antworten: »Ja, aber sie würden sich nicht an mich erinnern«, oder: »Nun ja, ich bin ihnen einmal begegnet, kenne sie aber nicht«, auch wenn sie sie noch nie im Leben gesehen haben.
    Das liegt am unbewussten Bedürfnis, sich in der schönen Illusion zu wiegen, England oder vielmehr das England der oberen Mittelschicht und Oberschicht sei durch eine Million unsichtbarer Seidenfäden verwoben, eine glanzvolle Gemeinschaft aller, die Rang, Namen und Lebensart haben, eine Gemeinschaft, die alle anderen ausschließt. Bei solchen Antworten kann man nicht von Lügen sprechen, denn in der Regel weiß jeder, wie sie gemeint sind. Wenn Engländer eines bestimmten sozialen Hintergrunds zu hören bekommen: »Ich habe die XYs einmal getroffen, aber sie würden sich nicht an mich erinnern«, dann entschlüsseln sie dies als: »Ich bin den Guten nie begegnet.«
    Mrs. Lavery, Ediths Mutter, rechnete sich selbst einem Personenkreis
von ganz anderem Format zu als ihren Gatten, auch wenn sie ihn von Herzen liebte. Ihr Vater hatte als Oberst der britischen Armee in Indien gedient, der springende Punkt aber war, dass seine Mutter wiederum die Großnichte eines Baronets war, der seinen Titel seinem Erfolg als Bankier verdankte. Mrs. Lavery war in vieler Hinsicht eine liebenswerte Frau, doch ihr leidenschaftlicher Snobismus grenzte schon an Irrsinn, und aus ihrer überaus schwachen Verbindung zum untersten Adel bezog sie die beglückende Gewissheit, zum inneren Kreis der Privilegierten zu gehören, zu dem ihr Mann nie Zutritt haben würde. Mr. Lavery nahm seiner Frau diese Haltung nicht im Mindesten übel. Ganz im Gegenteil. Er war stolz auf seine hoch gewachsene, gut aussehende Gattin, die sich zu kleiden verstand, und wenn eine ihrer Lieblingsphrasen, noblesse oblige , überhaupt etwas bei ihm auslöste, dann ein gewisses Amüsement, dass diese Maxime tatsächlich auch für seinen Haushalt gelten könnte.
    Die Laverys lebten in einem großen Apartment in Elm Park Gardens, einer Wohnlage fast am falschen Ende von Chelsea und damit nicht ganz nach Mrs. Laverys Geschmack. Dennoch war es noch nicht Fulham und schon gar nicht Battersea, Namen, die erst seit kurzem auf ihrer geistigen Landkarte existierten. Wenn sie von den verheirateten Kindern ihrer Freundinnen dorthin eingeladen wurde, verspürte sie immer noch den aufregenden Kitzel des Neuen und fühlte sich wie eine unerschrockene Forschungsreisende, die sich immer weiter von der Zivilisation entfernt. Gebannt hörte sie zu, wenn sich das Gespräch darum drehte, was für eine gute Investition gewisse Immobilien dieser Gegend waren oder wie sehr es den Kleinen nach der winzigen Wohnung in der Marloes Road nun in Tooting gefiel. All das blieb Mrs. Lavery ein Rätsel; für sie war diese Gegend die Hölle, bis sie wieder den Fluss überquerte, ihren persönlichen Styx, der die Unterwelt für immer vom wahren Leben trennte.
    Die Laverys waren nicht reich, aber auch nicht arm, und da sie nur ein Kind hatten, brauchten sie nicht zu knausern. Edith wurde in einen vornehmen Kindergarten geschickt und dann nach Benenden. (»Nein, nicht wegen der Princess Royal. Wir haben uns einfach umgesehen
und fanden die Atmosphäre dort höchst anregend.«) Mr. Lavery hätte es gern gesehen, wenn seine Tochter studiert hätte, doch Ediths Noten reichten nicht für die besseren Universitäten – und andere kamen für die Laverys nicht in Frage. Mrs. Laverys Enttäuschung hielt sich jedoch in

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