Snuff: Roman (German Edition)
frage sie: »Wer ist dieser Geier?« Der Typ mit dem Teddybär. Nummer 137, der mich dauernd angafft.
Sheila schlägt ein paar Blätter auf ihrem Clipboard um und fährt mit einem Fingernagel die Liste mit den Nummern und Namen runter. »Wow«, sagt sie. »Da kommst du nie drauf.« Sheila zeigt mit dem Fingernagel auf meinen Bauch und sagt: »Du hast da was übersehen.«
Sie meint die Haare unter meinem Nabel; die Linie ist unsymmetrisch.
Ich rasiere mich weiter und frage. »Kenne ich ihn?«
Sheila sagt: »Hast du keinen Fernseher zu Hause?«
Ich lasse den Rasierer sinken, zeige auf die »600« auf meinem Arm, weise sie auf meine höhere Stellung hin und sage, sie soll keine Spielchen mit mir treiben und mir endlich den Namen dieses Burschen sagen. Ich brauche sie nicht daran zu erinnern, was aus diesem Projekt wird, wenn ich aussteige. Wenn Cassie Wright sechshundert Kerle fickt, ist sie Weltrekordhalterin, und die Firma hat das Topprodukt der Saison. Aber wenn Cassie nur 599 fickt, ist sie bloß eine Schlampe. Und die Firma kann die Saison abhaken.
Und Sheila zwinkert mir zu. Diese kleine Tussi sagt: »Du bist doch ein kluger Junge. Du kommst schon noch drauf...« Und geht einfach weg.
Nummer 137 glotzt mich immer noch an. Mit diesem Teddy im Arm. Irgendein bekannter Schauspieler, der hier mal Pause vom Fernsehen macht.
Nummer 72 neben mir sagt: »Hey.« Er sieht nicht mehr das Video an, sondern mich, und sagt: »Warst du nicht mal...« Er hält den Kopf schief, blinzelt mich mit seinen hellbraunen Augen an und sagt: »Warst du früher nicht mal Branch Bacardi?«
Ich zeige mit einer Kopfbewegung auf Nummer 137 und frage: »Wie heißt der da?«
Und Nummer 72 sieht hin und sagt: »Wow. Das ist der Polizist aus der Serie am Donnerstagabend.«
Der Rasierer gleitet über meinen Bauch, immer auf der Suche nach Widerstand, nach winzigen Härchen, die noch niemand sehen kann. Ich frage den Jungen: »Was für eine Serie?«
Wie heißt der Kerl?
Warum starrt er mich so an?
Aber der Junge hängt schon wieder am Monitor. Er zeigt auf den Bildschirm und sagt: »Findest du, ich bin ihr ähnlich? Cassie Wright. Findest du, wir sind uns ähnlich?«
Ohne den Blick von der Szene mit Cassie und Boodles abzuwenden, ohne mich anzusehen, sagt Nummer 72: »Nur so.« Er sagt: »Ich meine nur so.«
Nummer 137 da drüben tippt sich mit einem Finger an die Brust. Berührt seinen goldenen Nippelring. Er richtet den Zeigefinger auf mich, sieht nach unten und tippt sich noch mal an die Brust.
Und als ich jetzt nach unten sehe, strömt da ein langer schwarzer Strich Blut aus meiner Brustwarze.
6
Mr. 72
Einer steht am Büffet und isst Kartoffelchips, und ein Zweiter stellt sich neben ihn. Auf dem Rücken des Zweiten steht die Nummer 206, aber nicht mit Filzstift geschrieben, sondern eintätowiert, in stachligen, fetten blauen Buchstaben, die Zwei auf dem Schulterblatt, die Null auf dem Rückgrat und die Sechs auf der anderen Schulter. Der Chipsfresser kaut und schluckt, schaufelt sich Nachschub in den Mund und knirscht und knuspert dabei so laut, als ob jemand über einen Kiesweg geht, und auf dem Arm, der unaufhörlich Chips nach oben befördert, steht die Nummer 206 geschrieben.
Der Tätowierte beugt sich leicht vor, geht in die Knie, erstarrt kurz und schlägt dann dem anderen mit dem Handrücken voll ins Gesicht. Er hat sein ganzes Gewicht in den Schlag gelegt, und eine Fontäne aus Spucke und Chipskrümeln schießt an die Decke. Der Schlag, ein dumpfes Krachen harter Fingerknöchel auf praktisch ungeschützte Schädelknochen. Die Knöchel nur mit einem Handschuh aus behaarter Haut gepolstert. Der Schädel nur mit etwas zerkautem Kartoffelmatsch und Salz wattiert.
Der Chipsfresser windet sich hustend auf dem Fußboden, und der Tätowierte dreht seine Schultern zur Seite. Die Schlaghand hoch in die Luft geschwungen, zeigt er mit einem Finger auf die Ziffern auf seinem Rücken. Er sagt: »Zwei, Null, Sechs... meine Nummer.« Er beugt sich runter, starrt dem am Boden in die Augen und sagt: »Besorg dir eine andere Nummer.« Er zeigt noch immer mit einem verdrehten Arm auf seinen Rücken und sagt: »Das hier ist meine .«
Blut strömt ihm stoßweise aus der Nase, aber der Chipsfresser kaut weiter. Schluckt. Wischt sich mit einer Hand die Lippen ab, schmiert Blut auf eine Wange. Wischt noch einmal und hat jetzt einen Schnurrbart aus Blut auf bei den Wangen.
Die Kleine mit dem Clipboard und der Stoppuhr um den Hals
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