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So bin ich eben - Erinnerungen einer Unbezaehmbaren

So bin ich eben - Erinnerungen einer Unbezaehmbaren

Titel: So bin ich eben - Erinnerungen einer Unbezaehmbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliette Gréco
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niemandem. Am Morgen und am Abend wasche ich mich unter meinem Nachthemd. Meine Kameradinnen halten mich für ein bisschen verrückt und anders. Das ist gut so, denn ich bin lieber allein.
    Dennoch werden mich meine Zimmergenossinnen in Erinnerung behalten. Denn, von der Schwester Oberin auf ihr Büro bestellt, enthülle ich bei offenem Fenster mit lauter und fester Stimme etwas, was meine Mitschülerinnen nie wagen würden zu verraten.
    Die Nachtaufsicht, eine Schwester mit großen Augen und schwarzem Haar, das von silbernen Strähnen durchzogen ist, und mit Brüsten, die sich ihrer Abgeflachtheit schämen, glitt mit ihren langen, zartgliedrigen Händen unter unsere Laken und Nachthemden. Ich gehörte auch zu ihren Opfern.
    Eine solche Schule funktioniert aber nur, wenn man diese Dinge verschweigt. Ich wurde also vom Internat verwiesen. Meine Mutter stand mir selbstverständlich nicht bei, es gab kein Wort des Trostes. Ich war gerade mal zwölf Jahre alt.
    Die ganze Kindheit habe ich um ihre Aufmerksamkeit gekämpft; sie hat mich nicht angesehen. Es war eine einseitige Liebe. Ich war ja nur ein Kind, das den Blick seiner Mutter sucht.
    Für die Frau, die sie war, hatte ich immer Respekt; aber keinen für die Mutter, die sie nicht war. Sie war meistens abwesend, trotzdem faszinierte sie mich.
    Nach dem Tod ihrer Eltern übernimmt sie, nicht freiwillig, sondern gezwungenermaßen, wieder unsere Erziehung. Sie gewährt Charlotte, die eine hervorragende Schülerin ist, eine lange Schulausbildung und schreibt mich in einer Ballettschule ein. So hilft sie mir, meinen eigenen Weg zu finden. Auch akrobatischen Tanz darf ich lernen. Bald schon meldet sie mich für die Aufnahmeprüfung an der Oper an. Ich werde angenommen und bin überglücklich.
    Im September 1938 darf ich in der Klasse von Mademoiselle Cesbron anfangen. Die kleinen Ballettratten der Oper, in ihren Tutus und rosafarbenen Strumpfhosen, die sie voller Stolz tragen, müssen, um in ihren Ballettsaal zu gelangen, eine Wendeltreppe hochsteigen, die auf einen ausgebauten Dachboden führt. Am Ende der Treppe gibt es ein Rundfenster, durch das man – wie wunderbar – direkt in den Himmel von Paris blicken kann.
    Als ich zum ersten Mal den Ballettsaal betrete, habe ich nur Augen für die Ballettstange, die den ganzen Raum umgibt. Ein prickelndes Gefühl überfällt mich. Ein Wunder passiert, ein Traum wird wahr.
    Beharrlich und mit Fleiß stürze ich mich in den nächsten Monaten in die schwierigen Übungen des klassischen Tanzes. Endlich kann ich mich ausdrücken – und zwar mit dem Körper.
    Der Krieg aber wird mich für immer von der Oper trennen.
    Die Seelenverwandte
    Die Bekanntschaft mit A. S. wird ihr Leben durcheinanderbringen.
    Und meines auch.
    Meine Mutter findet in dieser Frau nicht nur eine Verbündete, die beiden sind seelenverwandt. Beim Petit Parisien lernen sie sich kennen. Meine Mutter hat der Zeitung ihre Mitarbeit angeboten; schreiben kann sie nämlich sehr schön.
    A. S. engagiert neue Mitarbeiter und arbeitet sie ein. Sie lebt allein und hat auch zwei Kinder. Ein Mädchen in meinem Alter und einen älteren Sohn.
    Die beiden Frauen verlieben sich leidenschaftlich ineinander.
    Für die Sommerferien 1938 mieten sie zusammen ein großes Haus im Périgord.
    Auf mehreren Hektar Land erstrecken sich Obstgärten und Wiesen, es gibt kleine Teiche, die von Pappeln umsäumt werden. Und das altehrwürdige Haus ist großartig. Gerne verliere ich mich in seinen Zimmerfluchten, in den Räumen mit ihren hohen Decken.
    Ich erforsche jeden Winkel des Hauses und seiner Nebengebäude; der Dachboden ist oft mein Ziel, wo ich Schränke und Überseekoffer öffne, mir die alten Kleider mit Spitzenbesatz überziehe und mir verkleidet eine neue Welt erschaffe.
    Es macht mir Spaß, in den Obstgärten spazieren zu gehen, die weißen Nektarinen zu probieren und Insekten und Vögel zu beobachten. Hier bin ich vor meiner Mutter fast sicher.
    Und in dem riesigen Haus sucht und findet mich auch niemand.
    Das fröhliche Lachen der beiden Frauen erfüllt das Haus; meine Mutter macht das Leben mit A. S. offenbar sehr glücklich. Mir aber schnürt sich jedes Mal das Herz zusammen, und mein Atem stockt, wenn ich die zwei laut lachen höre. Also schnell auf mein Fahrrad und weg.
    Diesmal biege ich zu schnell in eine Kurve ein, ich rutsche auf dem Splitt aus, und während ich hinfalle, verheddert sich die Fahrradbremse in meinem Oberschenkel. Ich schürfe mir die Haut auf und

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