So bin ich eben - Erinnerungen einer Unbezaehmbaren
Montpellier mitnehmen. Diesmal haben unsere Großeltern nichts dagegen; Vater hat mit einer Klage gedroht.
An einem schönen Morgen im Juli läutet es. Großvater öffnet, sein Gesicht verkrampft sich. Kurz begrüßt er meinen Vater, der zu dem Anlass einen hellen Anzug trägt; dazu hat er passende Schuhe an den Füßen und Pomade im Haar. »Guten Tag, Monsieur«, sage ich zaghaft mit meinen sieben Jahren und bin so auch nicht gesprächiger als mein Großvater. Auch Charlotte begrüßt ihn nur mit einem einfachen »Guten Tag«. Wir sind reisefertig; jede hat ihren Koffer, den Pullover haben wir über den Arm gelegt.
»Dann schöne Ferien, meine Kinder«, sagt Großvater mit ruhiger Stimme und mühsam unterdrücktem Zorn.
Meine Schwester nimmt vorn Platz, ich verkrieche mich auf die Rückbank des Wagens, direkt neben die Tür. Während der Fahrt sagt niemand ein Wort.
Ich kann mich weder an besonders bewegende Wiedersehen mit meinem Vater erinnern noch sind mir bestimmte Augenblicke im Gedächtnis geblieben. Nur an einen Tag erinnere ich mich: Meine Schwester sitzt vorn im Auto, und ich klebe wie gewöhnlich hinten an der Tür. Auf engen, kurvenreichen Wegen fahren wir zum Meeresstrand. Plötzlich öffnet sich der Riegel des Türgriffs neben mir, und ich kippe mit meinem ganzen Gewicht aus dem Wagen und kullere in eine Grube mit welkem Gras. Ich brauche ein paar Sekunden, bis ich wieder bei mir bin.
Wie ein zerzaustes Tier sehe ich aus. Ich strecke alle meine Glieder und schüttle sie. Vorsichtig stehe ich auf und schaue zur Straße. So weit das Auge reicht, rechts und links von ihr abgeerntete Getreidefelder; überall nur Strohballen und nirgends ein Wagen oder gar eine lebendige Seele.
Ich setze mich auf die Böschung und warte geduldig. Erst am Strand bemerken meine Schwester und mein Vater meine Abwesenheit. Die Wagentür hatte sich automatisch wieder geschlossen. Sofort kehren sie um. Müde vom Warten, bin ich inzwischen aufgestanden und gehe gemächlich die Straße entlang, ihnen entgegen.
Einmal am Strand, haben wir Kinder unseren Spaß. Wir rennen durch den Sand, aber Vater interessiert sich nicht für uns. Er hat nur den Fechtwettkampf im Kopf, den er organisieren und übrigens auch gewinnen wird. Da ich nicht schwimmen kann, darf ich nicht ins Wasser. Aber leichtsinnigerweise wage ich mich hinein und verliere das Gleichgewicht. Ich gerate in Panik und schreie. Ein Schwimmer kommt mir zu Hilfe, während mein Vater, in Anzug und Krawatte, mir hinterher erklärt, er habe seine brandneuen Schuhe nicht ruinieren wollen.
Ich hatte große Angst gehabt.
Seit diesem Tag ist mein Verhältnis zum Wasser ein eher zurückhaltendes. Seltsamerweise habe ich keine weiteren Erinnerungen an diese Ferien.
Jahre gehen ins Land, ohne dass sich an der Beziehung zu meinem Vater etwas ändert.
1952 schreibt die Journalistin Anne-Marie Cazalis für die Zeitschrift Elle einen Artikel über mich. Um ihrer Reportage mehr emotionale Tiefe zu geben, organisiert sie während einer Tournee ein Treffen mit meinem Vater in Nizza, wo er jetzt wohnt. Wir posieren. Ich bewahre die Fassung. Der Fotograf Georges Dudognon fotografiert das Ganze.
Gérald Gréco, der jetzt ein alter Mann ist, lächelt. Die Journalistin ist zufrieden, sie hat einen Coup gelandet. Ich bin wie gelähmt; dieses sinnlose, unfruchtbare Treffen erzeugt nur Leere in mir. Ich habe diesem Mann, den ich nie richtig kennengelernt habe, nichts zu sagen.
Der Vater, den ich in mir trage, der mich viel zu früh verlassen hat und der mir heute noch fehlt – das ist mein Großvater. Dieser gute alte Herr hat mich beschützt, er war zärtlich zu mir, er hat mich geliebt.
Unsere recht strenge religiöse Erziehung hat er durch seine menschliche Wärme, sein Verständnis und seine väterliche Fürsorge erträglich gemacht.
Ich war mir immer ziemlich sicher, dass er mein Schweigen versteht; dass er die Worte hört, die ich nicht ausspreche. Wie gerne bin ich an seiner Seite gegangen und habe meine Hand in seiner großen vergraben. Dieses Schweigen, das Großmutter als eine Art Protest empfand, hat uns geeint.
Wenn ich die Augen schließe, kann ich sogar das Holz seines Bleistifts riechen, den er mit seinem Taschenmesser gespitzt hat. Licht durchflutet sein Arbeitszimmer, die Sonnenstrahlen brechen sich auf dem Holzfußboden, und der Architekt selbst sitzt auf seinem hohen Schemel; er lässt die Reißschiene über den Zeichentisch gleiten und zieht geheimnisvolle Striche.
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