So fern wie ein Traum
der Templetons, war nach dem Tod ihrer Eltern als achtjährige Waise zu ihnen gekommen, und bereits nach kurzer Zeit ebenso Teil der Familie gewesen wie Laura und ihr älterer Bruder Josh.
Doch auch wenn Laura und Margo und Kate einander näher standen, als es sicher selbst bei Schwestern üblich war, vergaß Laura doch nie, dass die Verantwortung, die man als eine Templeton trug, ausschließlich ihr zufiel.
Und eines Tages, dachte sie, würde sie sich verlieben, heiraten und Kinder haben. Sie würde die Tradition der Familie fortführen. Der Mann, der sie in seine Arme ziehen und sie zu einem Teil von sich machen würde, würde alles sein, was sie je gewollt hatte. Zusammen würden sie ein Leben aufbauen, ein Heim schaffen und einer Zukunft entgegen blicken, die genauso strahlend und perfekt war wie Templeton House.
Während sie sich diese Zukunft vorstellte, blühten in ihrem Herzen Träume auf. Der Wind blies ihr die feinen Locken aus der Stirn, und eine zarte Röte legte sich auf ihr Gesicht.
»Laura träumt mal wieder«, stellte Margo mit einem Grinsen fest, das ihrem hübschen Gesicht eine strahlende Schönheit verlieh.
»Denkst du über Seraphina nach?«, fragte Kate.
»Hmm?« Nein, keineswegs, aber nun fiel ihr das junge Mädchen wieder ein. »Ich frage mich, wie oft sie wohl hierher gekommen ist und sich das Leben ausgemalt hat, das sie mit Felipe führen wollte.«
»Sie hat sich während eines tosenden Sturms ins Meer gestürzt. Das weiß ich ganz genau.« Margo schaute zum grauen Himmel hinauf. »Blitze haben gezuckt, der Wind hat geheult, genau wie jetzt.«
»Selbstmord als solcher ist bereits dramatisch genug.« Kate pflückte eine Wildblume und wickelte den harten Stiel um ihren Finger. »Selbst wenn es ein perfekter Tag gewesen wäre mit blauem Himmel und strahlendem Sonnenschein, wäre das Ergebnis doch dasselbe geblieben.«
»Ich frage mich, was für ein Gefühl es ist, derart verloren zu sein«, murmelte Laura. »Falls wir jemals ihre Mitgift finden, sollten wir im Gedenken an sie einen Schrein errichten oder etwas ähnliches.«
»Lieber gebe ich meinen Anteil für Kleider, Schmuck und Reisen aus.« Margo streckte die Arme erst himmelwärts und verschränkte sie dann hinter ihrem Kopf.
»Und innerhalb eines Jahres hast du dann alles verprasst. Wahrscheinlich sogar in noch kürzerer Zeit«, prophezeite Kate. »Ich für meinen Teil werde mein Geld in Aktien anlegen.«
»Kate, du bist einfach langweilig.« Margo drehte den Kopf und sah lächelnd zu Laura hinüber. »Und du? Was wirst du tun, wenn wir das Geld finden? Denn eines Tages finden wir es.«
»Keine Ahnung.« Was würden ihre Mutter oder ihr Vater damit machen, überlegte sie. »Keine Ahnung«, wiederholte sie. »Am besten warte ich einfach ab, bis es soweit ist.« Sie blickte zurück aufs Meer, über dem sich der dichte Regenvorhang näherschob. »Genau das hat Seraphina nicht getan. Sie hat nicht abgewartet, um zu sehen, wie es mit ihrem Leben weitergegangen wäre.«
Das Heulen des Windes klang wie das Schluchzen einer Frau.
Am bleischweren Himmel zuckte ein leuchtend weißer Blitz, ehe gewaltiger Donner die Luft erzittern ließ. Laura warf den Kopf in den Nacken, lächelte und dachte, in einem derartigen Unwetter waren Kraft, Gefahr und Pracht vereint.
Und sie wollte alle drei. Tief in ihrem Herzen wollte sie alle drei.
Dann wurden plötzlich das Quietschen von Bremsen, das empörte Knirschen kleiner Geröllsplitter und eine ungeduldige Stimme laut.
»Himmel, seid ihr vollkommen übergeschnappt?« Joshua Templeton lehnte sich aus dem Fenster seines Wagens und bedachte das Trio mit einem stirnrunzelnden Blick. »Seht zu, dass ihr ins Auto kommt.«
»Es regnet doch noch gar nicht.« Trotzdem stand Laura auf. Zunächst entdeckte sie nur Josh. Er war vier Jahre älter als sie und ähnelte im Augenblick ihrem Vater, wenn er wütend war, so sehr, dass sie beinahe gelacht hätte. Aber dann sah sie, wer neben ihm im Wagen saß.
Sie war sich nicht sicher, woher sie wusste, dass Michael Fury ebenso gefährlich war wie das Sommergewitter, aber sie zweifelte nicht daran. Es lag nicht nur an Ann Sullivans gemurmelten Warnungen vor Uniformträgern und Unruhestiftern seiner Art. Obgleich Margos Mutter eine ganz bestimmte Meinung hinsichtlich dieses besonderen Freundes von Josh vertrat.
Vielleicht lag es an seinem eine Spur zu langen, eine Spur zu wilden dunklen Haar oder an der kleinen weißen Narbe über der linken Augenbraue, die
Weitere Kostenlose Bücher