So fern wie ein Traum
ihre Knochen taten weh, ihr Geist war wie betäubt. Mit unsicheren Fingern strich sie über ihre geschwollenen Lippen. Spürte ihn, schmeckte ihn.
Auf dem Weg zurück zum Herrenhaus blickte sie zurück. Wollte sie denn sicher sein? Sie war immer in Sicherheit gewesen, oder etwa nicht? Und ihr bisheriges Leben war alles andere als ein rauschender Erfolg. Zugleich wurde sie sich bewusst, dass sie nicht mehr mit dem Kopf dachte, sondern mit ihrem Leib. Himmel, sie hatte das Gefühl, als bestünde sie nur noch aus pulsierender, alles beherrschender Weiblichkeit.
Eine vollkommen neue, erschreckende Erfahrung für Laura.
Bevor sie weiter darüber nachdenken konnte, trat sie durch die Küchentür und plötzlich brach die Hölle los.
»Miss Laura. Großer Gott!« Ann stürzte auf sie zu. Während Laura vor Schreck nach Atem rang, wurde sie bereits auf einen Stuhl am Küchentisch gedrückt. »Was hat er Ihnen angetan? Dieses Monster, diese Ausgeburt des Teufels. Mein armes Kind, wo bist du verletzt?« Mit wildem Blick tätschelte Ann Laura die bleichen Wangen und strich ihr über das zerzauste Haar. »Ich wusste, dass jemand wie er nur Schwierigkeiten machen würde, aber ich hätte nie gedacht. . . Ich bringe ihn um, dafür bringe ich ihn mit meinen eigenen Händen um.«
»Was? Wen?«
»Sie hat einen Schock, Mrs. Williamson. Das arme Lamm. Holen Sie den Brandy.«
»Also bitte, Mrs. Sullivan, beruhigen Sie sich erst einmal.«
»Ich soll mich beruhigen? Beruhigen? Sehen Sie sich doch nur an, was er mit unserer armen Miss Laura gemacht hat?«
Die Köchin wischte sich die Hände an der Schürze ab und kam vom Herd herübergeeilt. »Was ist passiert, mein Schatz?«
»Ich habe nur…«
»Ich werde Ihnen sagen, was passiert ist.« Anns Augen blitzten rachedurstig auf. »Es war dieser Mann, wer sonst?
Selbst ein Blinder kann sehen, dass sie sich verzweifelt gegen ihn zur Wehr gesetzt hat, der arme Schatz. Oh, dafür wird er bezahlen, das schwöre ich. Wenn ich mit Michael Fury fertig bin, wird nichts mehr von ihm übrig sein.«
»Michael?« Vielleicht lag es an ihrer Müdigkeit, dachte Laura verwirrt. War sie nicht eben erst von Michael hierher zurückgekehrt? »Was hat er getan?«
Mit grimmig zusammengepressten Lippen beugte sich Ann zu Laura. »Du brauchst dich nicht zu schämen, und keine Angst. Nichts von alledem war deine Schuld.«
»Also gut«, setzte Laura langsam an. »Was soll nicht meine Schuld gewesen sein?«
»Mein Herz.« Ganz offensichtlich versuchte das arme Mädchen zu verdrängen, was ihm Grauenhaftes widerfahren war. »Am besten ziehen wir dich erst mal aus und sehen, wie schlimm es ist. Ich bete nur, dass es sein Blut ist, was man auf deinen Kleidern sieht.«
»Blut?« Laura blickte an sich hinab und stellte fest, dass ihr Hemd und ihre Hose wohl kaum mehr zu retten waren. »Himmel«, murmelte sie. Und allmählich dämmerte es ihr. »Himmel«, sagte sie ein zweites Mal und brach in hysterisches Gelächter aus.
»Den Brandy, Mrs. Williamson. Holen Sie den Brandy.«
»Nein, nein, nein.« Mühsam um Beherrschung bemüht, packte Laura Ann, ehe diese aufspringen und Genugtuung fordern konnte von dem vermeintlichen Angreifer. »Das ist weder mein noch Michaels Blut, Annie. Es stammt von dem Fohlen.« Trotz eines Schluckaufs fuhr sie eilig fort. »Ich habe Michael geholfen, ein Fohlen auf die Welt zu bringen.«
»Tja, dann.« Zufrieden kehrte die Köchin zu ihren Töpfen zurück.
»Ein Fohlen?« Argwohn blitzte in Anns Augen auf. »Sie waren drüben im Stall und haben ein Fohlen auf die Welt gebracht?«
»Ja, eine kleine Stute. Eine wahre Schönheit.« Laura stieß einen seligen Seufzer aus und wäre am liebsten mit dem Kopf auf der Tischplatte eingeschlafen. Inzwischen war sie vollkommen erschöpft.
»Oh.« Erschüttert und verlegen rappelte Ann sich wieder auf. »Dann werde ich Ihnen mal eine Tasse Kaffee holen gehen.«
»Vielen Dank, aber ich habe während der letzten Stunden genug Kaffee für die nächsten fünfzehn Jahre getrunken.« Laura ergriff die Hände der Wirtschafterin. »Annie, Sie haben mich wirklich überrascht. Michael würde mir niemals etwas antun.«
»Ich habe ihr schon tausendmal gesagt, der Junge hat ein goldenes Herz«, erklärte Mrs. Williamson. »Aber wann hätte sie mir jemals zugehört?«
»Ich erkenne einen Schurken, wenn ich einen sehe«, beharrte Ann auf ihrer Meinung.
»Dieser Schurke«, sagte Laura in mühsam ruhigem Ton, »hat die letzte Nacht in Sorge um ein
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