So fern wie ein Traum
kampfbereite Schwerter auf. »Warum ist er dann nicht längst tot?«
Ann atmete zischend ein. In diesem Punkt konnte sie selbst mit einem Halunken wie Michael einer Meinung sein. Aber sie hatte bereits zu viel gesagt, und so antwortete sie: »Mit einem Stallburschen zu klatschen steht mir nicht an.«
»Ich bin kein Stallbursche, und außerdem haben Sie sich bisher was mich betrifft noch nie in Zurückhaltung geübt. Weshalb haben sie Ridgeway diese Dinge durchgehen lassen? Josh hätte ihn doch sicher daran hindern können. Die Templetons hätten ihn doch problemlos zerquetschen können, wenn sie es gewollt hätten.«
»Das ist allein Miss Lauras Angelegenheit, und sie wollte es eben nicht.« Ann faltete die Hände und presste die Lippen aufeinander, damit ihr nicht noch mehr entfuhr.
»Das Ganze macht einfach keinen Sinn.« Er brachte dem geduldig wartenden Max seine Ration. »Sie hat doch sicher dank ihrer Familie so viel Geld, dass sie darin baden kann. Sie hat dieses Haus und mehrere Bedienstete. Niemand lebt wie sie, wenn er jeden Pfennig zweimal umdrehen muss.«
Abermals stieß Ann ein Schnauben aus. »Miss Lauras Finanzen gehen Sie wohl kaum etwas an, Mr. Fury. Aber falls Sie sich eingebildet haben, Sie könnten sich an sie heranmachen, um ihr vielleicht einen Teil ihres Geldes abzuschwatzen, dann haben Sie sich leider getäuscht.«
Sie erkannte schwarzen Zorn, wenn sie ihn ansah, und ebenso erkannte sie die eiserne Beherrschung, mit der Michael sich zwang, ihr nicht an die Gurgel zu gehen. Das erste hätte sie erwartet, das zweitere jedoch keineswegs.
»Danke für die Warnung«, sagte er und wandte sich wieder seiner Arbeit zu.
Sie öffnete den Mund. Hatte er tatsächlich nicht nur zornig geklungen, sondern auch verletzt? Nein, sie weigerte sich, so etwas zu glauben von einem Mann wie ihm. Trotzdem biss sie sich auf die Unterlippe und fragte sich, wie ihre Worte wohl schmecken würden, wenn sie sich tatsächlich geirrt hätte und sie, wie von Mrs. Williamson prophezeit, daran kauen müsste.
»Ich überlasse Sie dann wieder Ihrer Arbeit«, sagte sie.
Als sie ging, maß er weiter sein Getreide ab. Einen Augenblick später jedoch flog ihm die Schaufel aus der Hand und krachte derart kraftvoll gegen die Wand, dass der Stiel abbrach. Einige der Pferde wieherten nervös, und Max hielt lange genug im Fressen inne, um den Kopf zu heben und seinen Herrn fragend anzusehen.
»Verdammt.« Michael fuhr sich mit den Händen durchs Gesicht. »Ich habe auch so genug zu tun, ohne mir über ein verrücktes Weib Gedanken zu machen«, murmelte er erbost. »Diese verdammte Frau sollte längst in ihrem Bett liegen.« Er hob die Schaufel wieder auf, schleuderte sie abermals gegen die Wand und machte sich auf die Suche nach einem Ersatz.
10
Um zwei Uhr nachmittags hatte Laura eine neue Phase der Erschöpfung erreicht. Es war beinahe angenehm, dieses Gefühl, ungefähr zwei Zentimeter über dem Boden zu schweben und zu spüren, wie die Luft um sie herum weich und flüssig auf und ab wogte.
Sie hatte ihr Treffen mit der Konferenzleiterin der Schriftstellerinnentagung hinter sich gebracht, hatte mit ihren Mitarbeitern eine letzte Besprechung vor der Gästeflut geführt, die in den nächsten zwei Tagen heranrollen würde. Sie hatte letzte Fragen mit dem Bankettmanager, der Reinigungs- und Gepäckabteilung, der Küche, dem Zimmerservice und der Hauswirtschafterin geklärt.
Um eins hatte sie sich mit frischem Kaffee und einem Schokoriege! halbwegs wieder in Schwung gebracht und sich auf den Weg in die Boutique gemacht. Den einzigen Lichtblick des Tages stellte bisher das Telefongespräch mit einer beinahe hysterischen Kate dar, die sie am frühen Morgen unter der Dusche hervorgeklingelt hatte.
»Es ist rosa! Es hat sich rosa verfärbt! Ich bin schwanger! Wir haben es geschafft! Hast du mich gehört, Laura? Ich bekomme ein Baby!«, hatte sie in den Hörer gebrüllt.
Laura hatte es gehört, und sie hatten miteinander gelacht und auch ein wenig geweint. Jetzt wanderte Kate verträumt durch das Geschäft.
»Wie wäre es mit Guinevere, falls es ein Mädchen ist?«, überlegte sie laut. »In Byrons Familie gibt es diese Tradition, dass man Namen aus der Literatur für die Kinder wählt.«
»Guinevere war ein moralisch nicht gerade vorbildhaftes, derbes Weib«, antwortete Margo ihr. »Sie hat ihrem Mann mit seinem besten Freund Hörner aufgesetzt. Aber falls du so was willst. . .«
»Ich fand immer schon Ariel sehr schön«,
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